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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Sintflut

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Annika Schilling als Milena und Ensemble in blut wie fluss von Fritz Kater im Schauspielhaus Bad Godesberg in Bonn | Foto (C) Thilo Beu

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Alles ist im Fluss. Die Säfte bahnen sich dabei zielgenau ihren Weg. Flüssigkeiten verbinden sich und werden zu einem steten Strom. Süffige Worte spricht die Sekretärin von Willy Brandt, auch Frösi (Ursula Grossenbacher) genannt. Die ehemalige Kanzlersekretärin kann es gar nicht erwarten, dass der schmucke Kellner (Christian Czeremnych) den Sektkorken knallen lässt und ihr das Glas befüllt. Sie erzählt ihm mit glänzenden Augen von ihrem Kinderwunsch trotz des hohen Alters. Er, ein junger Pakistani, versteht sie. Er meint beherzt zu wissen, dass es doch die größte Lebenserfüllung einer Frau sei, Kinder zu haben. Da widerspricht sie ihm dann aber doch mit Nachdruck. Trotz seines scheinbar nicht mehr zeitgemäßen Frauenbildes macht sie dem Kellner wolllüstig ihre Aufwartungen, indem sie ihr Bein keck an seines schmiegt. Nicht nur ihr Glas füllt sich. Unterhalb der Knie der Akteure spritzt und schwappt es. Mehrmals gießt es eimerweise von der Bühnendecke Wasser in eine bereits geflutete Vorbühne (Bühnenbild: Tom Musch). Wird das kühle Nass auch das Geschehen fluten? Die Akteure waten oder stapfen mehrmals tapfer hindurch; zwei Herren gleiten sogar lustvoll bäuchlings hinein.

Flut reimt sich anfangs auch auf Wut. Das große Rheinhochwasser von 1993 wird zu Beginn thematisiert, nicht ohne auch die Katastrophe im Ahrtal in Erinnerung zu rufen. Milena (Annika Schilling) ärgert sich während eines angsteinflößenden Dauerregens über ihren Vater, der als hohes Tier in der Bonner Republik ihre Mutter mit ebenjener Sekretärin Brandts betrügt. Später widmet sie sich als Geschichtsprofessorin den Visionen Brandts. Dabei werden „Was wäre gewesen,wenn“-Fragen laut: Was wäre gewesen, wenn Günter Guillaume (Daniel Stock) nicht als Kundschafter der DDR-Staatssicherheit Brandt-Vertrauter gewesen oder nicht 1974 enttarnt worden wäre. Was für eine Rolle spielte Guillaumes Verhaftung für das Leben seines damals sechzehnjährigen Sohnes Pierre (nun nur mit kess gestreiften Slip bekleidet auf einem Fahrrad: Christian Czeremnych).

Der Arbeitstitel des am Schauspielhaus Bad Godesberg gezeigten Werks blut wie fluss lautete noch labyrinth. Armin Petras bringt sein, unter dem Pseudonym Fritz Kater erstelltes, inhaltlich wild flutendes Drama in Bonn selbst zur Uraufführung. Die szenische Collage springt mit Vor- und Rückblenden zwischen den Zeitebenen, insbesondere zwischen 1946 und 2015. Biografien historischer Personen wie etwa von Willy Brandt (Wilhelm Eilers) und Angehörigen (Rut Brandt: Ursula Grossenbacher) werden mit den Schicksalen und Erfahrungen fiktiver Figuren verknüpft.

Einen losen Faden durch das Geschehen zieht dabei die Idee des Lasters der sieben Todsünden, die szenisch durch eine moderierende Regisseurin, Frau Leber (Lena Geyer), teils mehrfach angekündigt werden. So wird die Lüge Guillaumes als Hochmut ("superbia") gedeutet, die Wut Milenas als Zorn ("ira"), die Sinnlichkeit Frönis als Wollust ("luxuria"). Ganz genau nimmt es Kater bei seiner Sündensuche aber auch nicht. So fragt die Moderatorin mal, ob denn Trübsinn eigentlich auch eine Todsünde sei? Die Akteure sprechen oft zum Publikum nach vorne hin, manchmal auch chorisch.

Anekdoten, die oft auch die schöne Rheinstadt Bonn als ehemalige Bundeshauptstadt einbeziehen, reihen sich aneinander. So erklärt die Figur der Milena mal, dass die Baustelle am Bonner Abgeordnetenhaus weiterhin andauert; wo jetzt nach dem Umzug nach Berlin ja sowieso auch kein gesteigertes Interesse an der Fertigstellung mehr bestehe.

Ein großes Thema des Abends ist Vergeblichkeit und das Scheitern. Mehrere Darsteller mimen schreibende Alter Egos, die ihre Romane oder Dissertationen wieder verwerfen. Es erklingt von Band ein Original O-Ton-Versprechen Brandts, das gegen Ende der Aufführung ein weiteres Mal abgespielt wird: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun.“ Musikalisch werden The end von The Doors, das Intro von Massive Attacks Unfinished Sympathy und Nina Simones Feeling good anzitiert. Die Akteure singen auch gemeinsam Zeilen aus Rio Reisers Halt dich an deiner Liebe fest (Musik: Jörg Kleemann).

Wenn der Literaturwissenschaftler Terodde (Daniel Stock) mit seinem Suzuki Baleno – meistgefahren in Indien, wie er behauptet – durch Deutschland fährt, gewahrt er, wie das „Heim“ Ortsnamen wie Bensheim mitformt und so die Welt auch ein bisschen heimelig macht. Neben der Verortetheit werden weitere existentielle Fragen laut. Eine Figur behauptet, wenn das menschliche Original nicht mehr brauchbar sei, gebe es immerhin noch den Totentanz. Beim Thema Ableben forciert sich auf der Bühne auch ein blutiges Geschehen um eine Organtransplantation. Sogar das Thema Multispektralität wird in den Raum geworfen.

Interessant sind da jedoch eher die Worte „vielleicht ist Geld nichts anderes als liegengelassenes Leben, ungelebtes Leben". Dieser Glaube an das Geld als die vielleicht meistverbreitete Religion der Welt, stückimmanent auch am Beispiel des Rheingoldes auftauchend, wird in der Vorführung mehrmals leise in Frage gestellt. Befragt wird dabei auch, ob es noch junge Menschen gibt, die Klimawandel und Weltkriege herzlich wenig tangieren.

Abhauen sei leichter als Ankommen, erklärt der Biologiestudent Yusuf (Christian Czeremnych). Er bezieht die wilde und unberührte Natur auf die eigene Existenz, auf ihre Gefährdung und Sterblichkeit. Yusuf referiert in einer langen Szene über Überlebenschancen von Tier- und Pflanzenarten nach dem Ende des Anthropozän. Er überlegt, dass Katzen oder Schimmel Überlebenschancen hätten, die Ratten jedoch um ihre Lebensgrundlage, den Müll, kommen würden. Er plädiert in seinem lustvoll misanthropischer Monolog dafür, das Schwimmen zu verlernen, um die Wasseroberfläche wieder zu bereinigen. Diese Szene endet effektvoll damit, dass alle anderen Akteure leise mit gesenkten Köpfen auf die Bühne treten, die durch unterschiedliche Tierskulpturhäupter gekrönt sind (Kostüme: Katja Strohschneider).

„Muss ich denn nun auch die Arbeit der Souffleuse übernehmen“, ruft gegen Ende die, das Geschehen angestrengt moderierende Autorin oder Regisseurin (Lena Heyer) genervt aus. Wenn ihre Akteure ihren Anweisungen ratlos nicht Folge leisten, bleibt das Bild irritierend leblos. Der Entstehungsprozess der Vorführung wird hier effektvoll hinterfragt, der doch auch an verschiedene menschliche Körper gebunden ist.

Die Akteure wechseln fliegend Rollen wie ihre Kostüme. Auch inhaltlich überlagern sich Farbtupfer und Transparenzen. Vergangenheit und Gegenwart werden analog zu entstandenen Bildwelten zusammengeführt, wenn Sandrine Zenner ausdrucksstark nicht nur eine moldawische Studentin, ihre Vorgängerin aus einer früheren Zeit, ihre später auftretende Zwillingsschwester, ihren künstlich beatmeten Körper, aber auch weitere Figuren aus anderen Sinnzusammenhängen mimt. In der textilen, fragmentarisch verwebten Kunst Katers gibt es so allerlei Stoffballen, Faltenwürfe und Flechtbandmuster zu bestaunen - ähnlich wie bei Katers wechselnden Szenerien in Buch (5 ingredientes de la vida) oder Love you, Dragonfly.

Weniger wäre hier mehr gewesen. Während der etwa zweieinhalbstündigen, pausenlosen Vorführungsdauer ist es mitunter herausfordernd, sich in regelmäßig wechselnde szenische Konstellationen und kopflastige Welten einzufühlen. Die schauspielerisch bemerkenswerte Leistung des sichtlich engagierten Ensembles entschädigt für mitunter etwas fade und flache Pointen, etwa wenn Rut Brandts angeblichen Worte „Alles wird gut“ als wegweisende Essenz präsentiert werden.



blut wie fluss von Fritz Kater am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Ansgar Skoda - 2. April 2023
ID 14129
BLUT WIE FLUSS (Schauspielhaus Bad Godesberg, 31.03.2023)
Regie: Armin Petras
Musik: Jörg Kleemann
Bühne: Tom Musch
Kostüme: Katja Strohschneider
Licht: Thomas Tarnogorski
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Mit: Christian Czeremnych, Wilhelm Eilers, Lena Geyer, Ursula Grossenbacher, Annika Schilling, Daniel Stock und Sandrine Zenner
UA am Theater Bonn: 31. März 2023
Weitere Termine: 06., 14., 22., 26., 30.4./ 04., 12., 30.05.2023



Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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