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Uraufführung

Das Leben

der Toten



Der Triumph der Waldrebe in Europa von Clemens J. Setz am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn KLein

Bewertung:    



Der Österreicher Clemens J. Setz, Jahrgang 1982, ist einer der interessantesten, kuriosesten und gebildetsten deutschsprachigen Schriftsteller seiner Generation. Als Erzähler vielleicht eher denn als Dramatiker. Am Stuttgarter Schauspiel ist er kein Unbekannter. Dort hat man vor vier Jahren Die Abweichungen uraufgeführt. Jetzt wurde am selben Ort sein jüngstes Stück mit dem rätselhaften Titel Der Triumph der Waldrebe in Europa uraufgeführt. Es zeugt von des Autors Affinität zur Kybernetik, die er mit einem der bedeutendsten Schriftsteller der österreichischen Avantgarde, mit Oswald Wiener teilt. Ein Junge ist bei einem Unfall tödlich verunglückt. Seine Eltern wollen sich damit nicht abfinden und lassen ihn, als Dementen, digital weiterleben. Kurze in einander montierte Szenen tasten die Aspekte dieser gerade noch utopischen Konstruktion ab.

Gespielt wird, knapp zwei Stunden lang, im beengten Ambiente des Kammertheaters. Dass wieder einmal Videos auf mehreren Projektionsflächen buchstäblich, nämlich vom Oberteil der Bühne her, dominieren, ist diesmal kein Zugeständnis an eine lästige Mode, sondern inhaltlich begründet: Die Story setzt sich weitgehend aus Interviews von Journalisten zusammen, die die Eltern des Toten nicht nur mit Fragen, sondern auch mit Kameras in durch Gazevorhänge verzerrten schmucklosen Räumen und davor bedrängen. Der Triumph der Waldrebe in Europa handelt also nicht nur von einer bevorstehenden Welt, in der der physische Tod abgeschafft wurde, sondern auch von einer voyeuristischen Mediengegenwart. Die jungen Schauspieler, in der besuchten Aufführung anstelle des erkrankten Jannik Mühlenweg Marco Massafra, den Textzettel in der Hand geschickt überspielend, tun in der Regie von Nick Hartnagel ihr Bestes, und das ist nicht gering zu schätzen, um den sprachlich zwar ausgefeilten, in seinem Mitteilungswert aber zunehmend drögen Plot voran zu treiben.

Wäre David nicht tot, sondern tatsächlich nur behindert, rückte das Stück von Clemens J. Setz in die Nähe von Peter Nichols’ A Day in the Death of Joe Egg. 1967 uraufgeführt, behandelt es vergleichbare Motive allerdings mit schwarzem Humor. Es gibt mithin signifikante Unterschiede zwischen der englischen und der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik. Sind sie dafür verantwortlich, dass Ein Tag im Sterben von Joe Egg auf deutschen Spielplänen kaum noch zu finden ist?




Der Triumph der Waldrebe in Europa am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein

Thomas Rothschild - 18. Oktober 2022
ID 13859
DER TRIUMPH DER WALDREBE IN EUROPA (Kammertheater, 17.10.2022)
von Clemens J. Setz

Inszenierung: Nick Hartnagel
Bühne: Yassu Yabara
Kostüme: Tine Becker
Musik: Lukas Lonski
Licht: Stefan Maria Schmidt
Dramaturgie: Ingoh Brux und Sarah Tzscheppan
Choreografie: Stefanie Bloch
Besetzung:
Renate ... Theresa Dörr
Konrad ... Gábor Biedermann
Journalistin ... Camille Dombrowsky
Tim Feels ... Marco Massafra (statt Jannik Mühlenweg)
Tontechniker ... David Müller
Kameramann ... Elias Krischke
UA am Schauspiel Stuttgart: 14. Oktober 2022
Weitere Termine: 18.-22.10./ 16., 17., 20., 21.12.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de


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