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AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2025

Er putzt

von Valeria Gordeev


Bewertung:    



Man fragt sich manchmal schon, was heute alles so unter Autor:innentheater firmiert. Ob traditioneller Stücktext, Recherche-Projekt oder Stückentwicklung im Ensemble, alles ist bei den diesjährigen AUTOR:INNENTHEATERTAGEn vertreten. Aber ein Stück ohne Worte kannte man bisher wohl nur von Franz Xaver Kroetz oder Peter Handke. Die hatten als Autoren aber immerhin ein paar Regieanweisungen zu Papier gebracht. Geschrieben hat eigentlich auch Valeria Gordeev - und zwar einen ganz normalen Prosatext. Er putzt wurde 2023 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Regisseurin Marie Schleef hat am Staatstheaters Wiesbaden den Text nun als Regieanweisung für ein assoziativ-visuelles Format mit akustischer Untermalung genommen. Sie folgt dabei dem Prinzip des ASMR (Autonome sensorische Meridianreaktion). ASMR-Videos dienen der Entspannung und erzeugt ein beruhigendes Empfinden. Man soll gut dabei einschlafen können. Beste Voraussetzungen also für ein Theaterstück.

In Gordeevs knapp 10 Seiten Text putzt der Student Konstantin Spüle, Abfluss und Herd in der Küche seiner Mutter, die viel arbeitet und wohl auch nicht die richtige Affinität zur Reinlichkeit entwickelt hat. Ganz im Gegenteil zu Konstantin, dem das die größte Zufriedenheit zu bringen scheint. Er putzt mit Akribie und vielerlei Hilfsmitteln wie Wattestäbchen, die nicht für die Ohren geeignet sind. Man lernt beim Lesen viel über den richtigen Zitronenreiniger und das nur Chlor gegen hartnäckiges Fett hilft. Nebenbei passt Konstantin noch auf seine 10jährige Schwester Lada auf, die im Wohnzimmer mit einer Schulfreundin von Konstantin auf Videokassette aufgenommene Fernsehserien wie Emergency Room sieht. Das könnte ein Fragment aus einem noch unfertigen Familienroman sein.

Im Theater klingt hier kaum hörbares Stimmengewirr aus dem Off bei noch ungeöffnetem Vorhang, der dann eine leere, für eine nicht vorhandene Küchenzeile geflieste Wand freigibt. Links steht eine kleine Kommode mit Videokassetten, darüber einen Kalender, der die Monate und Blumenmotive wechselt. Rechts gibt es eine Falttür und darüber eine Uhr. Herein tritt in Slow-Motion Konstantin, den es hier doppelt (Adi Hrustemović und Jonas Grundner-Culemann) gibt. Einer hat vorn am Zeh ein Loch in der Socke, der andere hinten am Hacken. Konstantin 1 knabbert laut hörbar an seinen Fingernägeln, während Konstantin 2 mit Handfeger und Kehrblech den Dreck wegfegt. Man könnte sie als zwei Charaktere ein und derselben Person sehen. Die Geräusche werden elektronisch verstärkt, überlagern sich und wiederholen sich im Loop. Dazu gibt es einen unterschwelligen Soundteppich (Jae A Shin und Richard Janssen). Eine Klang-Meditation mit total verlangsamten Bewegungen.

Der Abend teilt sich in etwa 4 Szenen, die nach leicht variiert wiederkehrendem Muster aufgebaut sind. Die Uhr dreht sich, die Falttür öffnet sich, Konstantin 1 tritt in die Küche macht das Licht an, erkennt irgendwo Schmutz, den Konstantin 2 mit Sprühreiniger, Staubsauger oder Staubwedel beseitigt. Im Hintergrund sieht man hin und wieder ein kuscheliges Staubmonster vorbeihuschen. Lada (in wechselnder Besetzung: Ida Rauschnabel oder Victoria Bloss) holt sich eine Kassette und sieht im Nebenzimmer Raumschiff Enterprise oder Akte X. Das erkennt man zumindest an den Titelmelodien. Kann sein, dass sich hier Autorin wie Regisseurin ein bisschen die Kindheit aus den 1990er Jahren wiedergeholt haben. Dreimal öffnet sich auch die Rückwand und lässt ein Raumschiff starten, oder ein riesiges Wattestäbchen schwebt von oben herab. Lada blubbert mit einem Brauseglas oder benutzt eine elektrische Zahnbürste. Konstantin wringt einen Schwamm oder wickelt ein Bonbon hörbar aus (eigentlich ein No-Go während einer Theateraufführung). Es tropft Wasser und plötzlich ertönt Meeresrauschen und Möwengeschrei. Die Regieeinfälle kennen da keine Grenzen. Eine nette technische Spielerei und Soundtüftelei, die szenisch allerdings kaum Spannung erzeugen kann und auch nicht mehr viel mit dem eigentlichen Text zu tun hat. Regie- nicht Autor:innentheater. Eine Meditation übers Putzen und das Vergehen von Zeit, die man am Ende auch anders verbringen könnte.



Er putzt am Staatstheater Wiesbaden | Foto (C) Maximilian Borchardt

Stefan Bock - 17. Juni 2025
ID 15309
ER PUTZT (DT-Kammerspiele, 16.06.2025)
von Valeria Gordeev

Regie: Marie Schleef
Bühne: Lina Oanh Nguyễn
Kostüme: Eleonore Carrière
Sound: Jae A Shin und Richard Janssen
Licht: Oliver Porst
Dramaturgie: Cosma Corona Hahne
Mit: Adi Hrustemovic, Jonas Grundner-Culeman, Ida Rauschnabel und Victoria Bloss
ATT-Gastspiel des Staatstheaters Wiesbaden


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatstheater-wiesbaden.de/


Post an Stefan Bock

AUTOR:INNENTHEATERTAGE

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