AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2025
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Die Krume Bot
von Lukas Bärfuss
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Bewertung:
Die AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2025 am Deutschen Theater Berlin sind eröffnet. Die 2. Ausgabe unter der Intendanz von Iris Laufenberg hat 11 Inszenierungen von neuen Theatertexten eingeladen und präsentiert in vier weiteren Inszenierungen die Ergebnisse der ATT-Schreib-Ateliers am eigenen Haus wie gewohnt in der Langen Nacht der Autor:innen. Zum Auftakt des Festivals gab es zwei starke Ensemble-Stücke, die sich zum Teil auf tragikomische Weise mit gesellschaftlichen Zerwürfnissen auseinandersetzen. Die Baseler Inszenierung von Regisseur Antú Romero Nunes zieht den sozialkritischen Roman Die Krume Brot des Schweizer Schrifttellers und Dramatikers Lukas Bärfuss, dessen Stückfassung der Autor auch selbst geschrieben hat, stark ins Komödiantische, während Jan Friedrich in seiner Magdeburger Inszenierung Onkel Werner Anton Tschechows Stück Onkel Wanja als tragikomische Farce in die ostdeutsche Provinz überführt. Trotzt besonders engagiertem und spielfreudigem Ensembleeinsatz gelingt beides leider nur bedingt.
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Lukas Bärfuss‘ 2023 erschienener Roman erzählt die Geschichte von Adelina, Tochter italienischer Einwanderer in der Schweiz, über mehrere Generationen beginnend in Mussolinis faschistischem Italien über den Zweiten Weltkrieg und die Emigration von Adelinas Vater, der als Sohn eines italienischen Faschisten keine berufliche Karriere machen kann. Nach dessen Tod muss die junge Frau in den 1970er Jahren die Schulden des Vaters in einer Schweizer Fabrik abarbeiten. Der Roman folgt der an Legasthenie leidenden jungen Frau auf ihrem schweren Weg, sich aus der Schuldenfalle und verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien. Eine tragische Geschichte, die schließlich zum Verlust ihrer Tochter aus einer kurzen Ehe mit einem italienischen Gastarbeiter, der arbeitslos wieder nach Italien abgeschoben wird, führt. Auf der Suche nach ihr gerät Adelina in eine militante Gruppe der Roten Brigaden, für die sie Botengänge mit Sprengstoff besorgt und ins Gefängnis kommt.
In Bärfuss‘ Stückfassung treffen wir zu Beginn Emma (Gina Haller), Adelinas erwachsene Tochter, die bei Adoptiveltern aufgewachsen ist, mit ihrem Geliebten Lukas (Jörg Pohl) über ihre zum Teil unklare Vergangenheit spricht. Unterlagen des verstorbenen Adoptivvaters enthalten Hinweise auf ihre leibliche Mutter Adelina. Lukas möchte Emmas Geschichte schriftstellerisch ausschlachten, was Emma aber vehement ablehnt. Regisseur Nunes lässt zu diesem abendlichen Gespräch in der Wohnung des Paars das Ensemble Einrichtungsgegenstände wie Schuhschrank, Sessel, Toilette, Bett oder Stehlampe mimen. Die nicht vorhandenen Türen werden quietschend geöffnet. Eine Schauspielerin spielt sogar das Spiegelbild beim Zähneputzen im Bad. Diese Art von pantomimischen Slapstickeinlagen ziehen sich auch durch die weitere Handlung des Stücks, das nun die Vergangenheit der Familie Adelinas als komisches Volksstück mit vielen Rollen- und Kostümwechseln, akrobatischen und komödiantischen Einlagen sowie die Geschlechter wechselnden Travestienummern spielt. Dazu schiebt das Ensemble auch bewegliche Stellwände auf der Bühne (Matthias Koch) hin und her.
Autor Bärfuss strippt seinen Roman wie eine Art Stationendrama auf. Nunes hechelt dem in seinen Slapsticknummern hinterher. Das komödiantische Treiben in Dauerschleife lässt einem kaum Momente der Reflexion. Wir sehen Adelinas lethargischen Vater Mario (Vera Flück) in einem Stuhl Pizza essen und die Teller hinter sich werfen, während ihm Kellner ihre Servietten unters Hemd stopfen. Natürlich tritt auch Mussolini (Elmira Bahrami) auf, der dem Großvater Adelinas (Andrea Bettini) seine nationalistische Ideologie einimpft, was dieser wiederum an seinen Sohn Mario weitergibt. Aus seiner Ehe mit der forschen Margaretha (Fabian Dämmich) entstammt nun Adelina (Gala Othero Winter), die den Wünschen des Vaters an eine intelligente Tochter nicht genügt. Sie muss sich nach dessen Tod gegen allerlei Widrigkeiten und finstere Ausbeutertypen behaupten und findet schließlich in den Reden des charismatischen Ideologen Renato (Jörg Pohl) ihren Weg zur Gerechtigkeit. Das sie auch hier nur ausgenutzt wird, ist schnell klar. Wie im Roman wirkt Adelinas Weg auch auf der Bühne eher schablonenhaft. Bärfuss packt ihr seine Sicht auf alle Ungerechtigkeiten der Welt wie einen zu schweren Rucksack auf. Am Ende sind wir wieder in der Rahmenhandlung und Emma bricht mit Lukas ins Kinderheim auf, die Geschichte der Mutter zu erforschen. Die Krume Brot steht am Beginn einer Trilogie, deren weitere Teile sicher auch bald auf der Bühne landen werden.
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Die Krume Brot am Theater Basel | Foto (C) Ingo Höhn
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Stefan Bock - 12. Juni 2025 (2) ID 15301
DIE KRUME BROT (Deutsches Theater Berlin, 11.06.2025)
von Lukas Bärfuss
Regie: Antú Romero Nunes
Bühne: Matthias Koch
Kostüme: Lena Schön und Helen Stein
Komposition: Anna Bauer
Lichtdesign: Vassilios Chassapakis
Dramaturgie: Michael Gmaj
Mit: Gala Othero Winter, Gina Haller, Elmira Bahrami, Andrea Bettini, Fabian Dämmich, Vera Flück, Kay Kysela und Jörg Pohl
ATT-Gastspiel des Theaters Basel
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-basel.ch
Post an Stefan Bock
AUTOR:INNENTHEATERTAGE
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