Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2025

Onkel Werner

von Jan Friedrich


Bewertung:    



Ähnlich problematisch wie die Bärfuss’sche Romanadaption Die Krume Brot stellt sich die Überschreibung des Tschechow-Klassikers Onkel Wanja durch Autor und Regisseur Jan Friedrich dar. Sein Stück für das Theater Magdeburg heißt nun Onkel Werner und spielt im dörflichen Milieu der sachsen-anhaltischen Provinz. Hier betreibt der titelgebende Werner (Nico Link) mit seiner Mutter Marianne (Catherine Stoyan) und Sonja (Luise Hart), der Tochter seines verstorbenen Bruders und dessen Exfrau Alexandra (Iris Albrecht), die runtergekommene Pension Werner. Aus dem alternden, wehleidigen Professor Alexander bei Tschechow wird bei Friedrich eine gescheiterte Ex-Politikerin, die sich mit ihrer jüngeren Geliebten Elena (Marie-Joelle Blazejewski) das Leben in Berlin nicht mehr leisten kann. Hinzu kommen Sonjas Patenonkel Ingo (Norman Groll), der dem Tschechowschen Waffel entspricht, und der Notfallsanitäter Michael (Philipp Kronenberg), der es hier nicht zum Arzt geschafft hat, aber ebenso naturliebend ist und am Tod eines syrischen Flüchtlings leidet.

Moderne Tschechow-Überschreibungen sind in Mode. Erst im Mai hatte eine Kirschgarten-Version mit Brandenburg-Bezug von Fritz Kater/Armin Petras im Staatstheater Cottbus Premiere.

Und natürlich wird auch bei Friedrich wie bei Tschechow ordentlich gelitten am nichtgelebten Leben. Die Lethargie der Protagonisten zeigt sich schon in der Auftaktszene, bei der die Eierlikör trinkende Mutter, Sohn Walter, Sanitäter Michael und der Brote schmierende Ingo wie angewurzelt vor dem Pensions-Bungalow (Bühne und Kostüme: Max Schwidlinski) harren und wie bei Tschechow eigentlich nichts passiert. Man steckt fest in den 90ern, was nicht nur an den Klamotten zu erkennen ist. Das Hängen in der Vergangenheit ist auch in den wenigen Worten spürbar. Die 1990er Jahre mit dem Versprechen „Blühender Landschaften“ kann man heute durchaus als Startpunkt für das andauernde Erstarken der AfD sehen. Politikverdrossenheit und Abdriften in rechtes Gedankengut sind hier vor allem bei Werner zu erkennen. Das provoziert Streit quer durch die Familie. Enttäuscht ist der dauermotzende Werner vor allem von Ex-Schwägerin Alexandra und ihren Politik-Floskeln von damals. Sein Freund Michael ergibt sich dagegen dem Suff. Aus ihrer Lethargie reißt sie nun die junge Elena, vor der Michael schon mal die Hosen runterlässt und Werner übergriffige Sprüche klopft.

Die Frauen haben es schon bei Tschechow nicht leicht. Hier müssen sie sich einem Haufen von Männerklischees aus dem Ossi-Lehrbuch erwehren, ohne allerdings selbst wirklich punkten zu können. Friedrich kann sich nicht von der Vorlage lösen und lässt den Tschechowplot als Ost-Farce durchspielen, bei der die arme Sonja noch am meisten an ihrer nicht erfüllten Liebe zu Michael zu leiden hat, sich Alexandra als weiblicher Tyrann im Seidenpyjama aufspielt und Elena einen Vaterkomplex (Ex-Offizier) verarbeiten muss. Das ist alles hervorragend gespielt, aber auch hier stößt die Schablonenhaftigkeit des Stückpersonals auf. Natürlich sind schon bei Tschechow die Figuren oft Schablonen für verschiedene Menschentypen, das macht seine Stücke ja auch so zeitlos und anschlussfähig für die Gegenwart. Die bricht bei Friedrich allerdings mit doch ziemlich konstruierten Ideen durch. So will Alexandra die Pension verkaufen und das Geld in Kryptowährung anlegen. Hierauf zückt Werner nicht etwa wie bei Tschechow die Pistole, sondern droht Alexandra im AfD-Sprech: … „wir werden dich jagen, und wir werden dich kriegen. Und sehr bald, wenn die richtigen Leute am Drücker sind, dann wird hier endgültig aufgeräumt.“

Es ist ja nicht so, dass es diese Typen im Osten nicht gibt. Eine Erklärung für deren Erstarken kann Friedrich mit seinem klischeehaften Text aber auch nicht liefern. Die reine Darstellung eines allgemeinen Gefühls der Unzufriedenheit und Anschlussfähigkeit an populistische Sprüche im Mantel einer Tschechow-Komödie über die Realitätsverweigerung auf dem vor sich hin dümpelnden Lande kann da nicht wirklich überzeugen. Das Lachen soll einem im Halse stecken bleiben, aber im Grunde käut der Plot in seiner Übertreibung nur altbekannte Muster wieder. Alexandra verlässt die Szene mit den Worten: „Kriegt euren Arsch hoch, verdammte Scheiße und begreift, wo ihr seid und was ihr habt! Begreift eure scheiß Privilegien.“ Das ist eine Ansage. Am Ende geht es genauso weiter wie immer. Nichts hat sich geändert. Die Frage wäre nun, was eine echte Änderung bringen könnte.



Onkel Werner am Theater Magdeburg | Foto (C) Gianmarco Bresadola

Stefan Bock - 13. Juni 2025
ID 15302
ONKEL WERNER (DT-Kammerspiele, 12.06.2025)
von Jan Friedrich

Regie: Jan Friedrich
Bühne und Kostüme: Max Schwidlinski
Musik und Sounddesign: Nicki Frenking
Dramaturgie: Katrin Enders
Mit: Iris Albrecht, Marie-Joelle Blazejewski, Luise Hart, Nico Link, Catherine Stoyan, Philipp Kronenberg und Norman Groll
ATT-Gastspiel des Theaters Magdeburg


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-magdeburg.de


Post an Stefan Bock

AUTOR:INNENTHEATERTAGE

Neue Stücke

Premieren (an Staats- und Stadttheatern)



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!    



Vielen Dank.



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

AUTOR:INNEN-
THEATERTAGE

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

THEATERTREFFEN

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2025 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)