AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2025
|
Ajax und der Schwan der Scham
von Christopher Rüping und Ensemble
|
|
Bewertung:
Christopher Rüping feierte 2018 große Erfolge mit seinem 10stündigen Antikenmarathon Dionysos Stadt an den Münchner Kammerspielen. Mit Ajax und der Schwan der Scham hat der Regisseur im Januar am Thalia Theater Hamburg mit einem kleinen Ensemble versucht, die Geschichte des griechischen Helden im Trojanischen Krieg nach Sophokles neu zu schreiben. Er definiert Ajax hier als ewigen Zweiten, was sich auf den großen Helden Achill bezieht, hinter dem der nicht umsonst auch Ajax der Große Genannte immer zurückstehen musste. Vor Troja rettet Ajax die Leiche des toten Achill samt Rüstung aus dem Schlachtgetümmel, verliert die ihm eigentlich zustehende Beute aber in einem Rededuell an den listenreichen Odysseus. Darüber erzürnt, schwört Ajax Rache, wird aber von den Göttern mit Wahnsinn geschlagen und schlachtet in Raserei die Schafherde des Odysseus ab, weil er sie für die Griechen hält. Aus Scham darüber stürzt sich Ajax in sein Schwert.
Soweit die griechische Mythologie. Rüping und sein Ensemble machen daraus nun eine etwas zäh beginnende Reflexion über den sogenannten Ewigen Zweiten, oder im künstlerischen Sinne die Zweitbesetzung. Auch Ajax war im Kampf gegen den trojanischen Helden Hektor die Zweitbesetzung für Achill, als sich dieser vom Kampf ausruhen musste. Die Tötung Hektors gelang schließlich Achill. Das allerdings erfährt man bei Rüping nicht. Hier macht sich zunächst Maja Beckmann im Sportdress auf der leeren, nur mit einer Videoleinwand ausgestatteten Bühne (Jonathan Mertz) des Deutschen Theater warm. Sie spielt Ajax und kumpelt sich erstmal ans Publikum ran mit der Frage, wer hier Abitur hat und mehr. Sogar einen Doktor gibt es im Saal. Ob es nun die mangelnde Bildung ist, die sie im Rededuell mit Odysseus, gespielt von Nils Kahnwald im güldenen Netzhemd, unterliegen lässt, ist dann aber eher nebensächlich. Beckmanns Ajax hat keine Lust darüber zu diskutieren. Die Beute steht ihr einfach zu. Dazu wird ein schön bemalter „Lappen“ heruntergelassen, der die mythologischen Szenen darstellt, anhand denen sie die Geschichte erzählt.
Dann gibt es minutenlanges Action-Painting von Maja Beckmann, die auf einem bühnenfüllenden Tuch eimerweise Theaterblut über Nils Kahnwald kippt. Ein schönes Schüttbild aber auch ein Stück Racherausch und Erniedrigung des Gegners. Dann wird geduscht, wobei die Livekamera lange auf Maja Beckmann bleibt. Die Reflexion hin zum Thema Scham bringt dann Hans Löw als Ajax Frau Tekmessa mit ein paar antiken Versen. Er will Ajax vom Selbstmord zurückhalten. Das bleibt wie ein Fremdkörper in dieser lieber rumalbernden, unfertig wirkenden Inszenierung, die schon wieder zu einem weiteren Thema springt, in dem sie nun die Zweitbesetzung zur Zweitbesetzung ins Spiel bringt. Nachdem Maja Beckmann lieber doch nicht vom hereingefahrenen Standgerüst ins Schwert springen will und Nils Kahnwald die Geduld verliert, kommt Pauline Rénevier im gleichen Kostüm und soll den Job übernehmen. Als Sarah Lane, das Körperdouble für die Schauspielerin Natalie Portman in dem 2010 gedrehten Tanzfilm Black Swan von Darren Aronofsky, erzählt sie nun ihre Geschichte als zu kurz gekommene Zweitbesetzung, auf deren Körper man das Gesicht der Hauptdarstellerin projizierte. Eine frühe Form der KI. Dann geht es noch um Deepfake-Videos und die Scham, in einem so erstellten Porno im Internet missbraucht zu werden.
Lauter lose Enden, die sich zwar aus der dünnen Handlung entwickeln, aber auch jeweils für sich stehen bleiben. Die Methode der Rüping-Familie zur Stückentwicklung über Improvisationen auf Proben, zu denen der Regisseur dann passende Texte schreibt, wie Maja Beckmann im Interview für den tip Berlin berichtet, scheint hier aus dem Ruder gelaufen zu sein. Der Abend franst immer mehr aus, verliert sich in technischen Spielereien mit Video und KI und findet eigentlich nicht wieder zusammen. Auch wenn dann irgendwann Maike Knirsch als geflügelte Athene vom Bühnenhimmel schwebt und dem eine Ende machen will. Sie stürzt sich schließlich via Videotrick selbst ins Schwert. Was man so auch für den ganzen Abend konstatieren kann.
|
Ajax und der Schwan der Scham am Thalia Theater Hamburg | Foto (C) Krafft Angerer
|
Stefan Bock - 14. Juni 2025 ID 15303
AJAX UND DER SCHWAN DER SCHAM (Deutsches Theater Berlin, 14.06.2025)
von Christopher Rüping und Ensemble
Regie: Christopher Rüping
Bühne: Jonathan Mertz
Kostüme: Lene Schwind
Musik: Christoph Hart
Video: Emma Lou Herrmann
Live-Video: Lilli Thalgott und Linda Verweyen
Licht: Jan Haas
Tonmeister: Hendrik Glax und Alexander Müller-Welt
Dramaturgie: Matthias Günther
Mit: Maja Beckmann, Nils Kahnwald, Hans Löw, Pauline Rénevier und Maike Knirsch
ATT-Gastspiel des Thalia Theaters Hamburg
Weitere Infos siehe auch: https://www.thalia-theater.de/
Post an Stefan Bock
AUTOR:INNENTHEATERTAGE
Neue Stücke
Premieren (an Staats- und Stadttheatern)
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTOR:INNEN- THEATERTAGE
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
THEATERTREFFEN
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|