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Uraufführung

Schlampen-

daseinsart

am Rande

der Provinz


ELFIE an der
Neuköllner Oper


Inka Löwendorf als Elfie an der Neuköllner Oper | Foto (C) Matthias Heyde

Bewertung:    



Jetzt machen wir uns doch nix vor:

Zehn, zwanzig, vierzig... allzu lange Jahre immer eindieselbe Ehe - das bedeutet freilich auch Verschleiß. Emotional und sexuell (das sowieso). Wie halten das so Paare derart lange miteinander aus?! Falls sie womöglich ständig an- und aufeinander glucken, wird die Angelegenheit von vorn herein arg schwer. Aber es gibt ja auch diverse Möglichkeiten, voneinander etwas Abstand zu gewinnen oder gar Distanz zu halten, dass man dann nicht unbarmherzig-ständig immer nur mit der/dem Einen ausschließlich, emotional und sexuell, zu tun hat... Elfie beispielsweise fand da einen guten Dreh und brach ganz schlicht und einfach aus dem ihre Emotionalität und Sexualität verstümmelnden privaten Dunstkreis aus und ging mit Dem und Dem und Dem mal fremd. Sie holte sich halt, was sie brauchte; und sie wurde im Männergesangsverein des Heimatstädtchens, wo die Steinheuers (Ernst Steinheuer, ihr Mann; Elfriede Steinheuer, sie selbst; und Beatrix, die Tochter) halt seit Ewigkeiten lebten, fündig.



"Eine ganze Stadt spricht über Elfie. Nur: der ist das egal. Weil es eh nicht stimmt, weil es keiner versteht, weil es niemanden interessiert, was sie antreibt und was sie ersticken lässt an diesen Leuten und dieser Stadt. Wie schnell ist ein Urteil gefasst über eine, die sich nicht 'an die Spielregeln hält', die Nähe sucht, wo Abstand erwartet und Mittelmaß zur Norm wird. Wie schnell ist so jemand 'durch', ganz weit unten (oder gar tot)? Mit ihrem Eigenwillen, ihren Launen und Provokationen stellt die Lehrersgattin Elfie Steinheuer die Frage, wieviel Freiheit wir vertragen, als Einzelne und als Gesellschaft." (Quelle: neukoellneroper.de)


Von Tankred Dorst (1925-2017) stammt übrigens diese Idee [s.o.], der hatte in den 1980ern ein Drehbuch unterm Titel Eine Mordgeschichte vorgelegt. Der Film war leider nie zustande gekommen - dafür war sein Script jetzt in die Hände des mit Dorst befreundet gewesenen Bernhard Glocksin, des künstlerischen Leiters der Neuköllner Oper, gelangt, der es dann wiederum an den Komponisten Wolfgang Böhmer und den Librettisten/Regisseur Martin G. Berger weiterreichte, dass sie aus ihm eine Kammeroper machten; und die hatte Donnerstag nun ihre Uraufführung!

Ein grandioser Großhype wurde "es", aber das bloß am Rand bemerkt.

*

Die Eineinviertelstunden sind gut strukturiert, es gibt 9 Bilder und 8 orchestrale Zwischenspiele, die durch 6 GesangssolistInnen plus 1 Kinddarstellerin sowie 8 InstrumentalistInnen in der genialen Raumtotale-Ausstattung von Sarah-Katharina Karl mit den die Wände ringsum zukleisternden Roman Rehor-Videos unter musikalischer Gesamtleitung Oliver Imigs nacheinander aufgefädelt werden. Die zu hörende Musik bewegt sich zwischen Volkslied, Swing, Chanson, Choral, Walzer und Tango.

Inka Löwendorf (als Elfie), die am Schluss dann auch kurz einmal singt, bricht ihren ausschließlichen Sprechtext mit entwaffnend-umwerfender Lust & Leichtigkeit aus sich heraus; ihr kauft man das zur Schau gestellte Antispießertum mit impliziter Provinzialverarsche vollends ab.

Das Trio der die Elfie freiwillig und unfreiwillig ab und an tangiert habende Kleinstadtmänner scheint in den vorzüglichen Gestaltungen durch Guido Kleineidam, David Schroeder, Victor Petitjean aufs Kongeniale abgedeckt; auch Jana Degenbrodt, Regine Gebhardt, Isabella Köpke machen je in ihrer Mutter-, Frau- und Kindesrolle eine überzeugende Figur.

Besonders spitzenmäßig-spitzenhaft jedoch der Sängerdarsteller des angehörnten Elfie-Gatten: Clemens Gnad!!!!! Die Lust das Biest an seiner Seite zu ermorden spürt der zuhörende Zuschauer von Anfang an - und nicht von ungefähr bekleckert(e) er zum Finale hin sein blütenweißes Hemd mit wässrigem Theaterblut.

Herrlicher Kammeropernabend.




Elfie an der Neuköllner Oper | Foto (C) Matthias Heyde

Andre Sokolowski - 2. Februar 2019
ID 11188
ELFIE (Neuköllner Oper, 31.01.2019)
Musiktheater von Wolfgang Böhmer und Martin G. Berger nach »Eine Mordgeschichte« von Tankred Dorst/Mitarbeit Ursula Ehler

Musikalische Leitung: Oliver Imig
Inszenierung: Martin G. Berger
Ausstattung: Sarah-Katharina Karl
Video: Roman Rehor
Lichtdesign: Ben Artmann
Dramaturgie: Bernhard Glocksin
Besetzung:
Elfriede Steinheuer, genannt Elfie ... Inka Löwendorf
Ernst Steinheuer, ihr Mann ... Clemens Gnad
Hermann Dechant, Musikkritiker ... Guido Kleineidam
Dr. Harry Hallwachs, Chirurg ... David Schroeder
Anette Hallwachs, seine Frau ... Jana Degebrodt
Elmar Griebel, Elektrogroßhändler ... Victor Petitjean
Elfies Mutter / Berliner Kneipenwirtin ... Regine Gebhardt
Beatrix, Tochter der Sreinheuers ... Isabella Köpke
Orchester
Uraufführung war am 31. Januar 2019.
Weitere Termine: 02., 03., 07.-10., 14.-17.,24., 26., 28.02. / 01.-03.03.2019


Weitere Infos siehe auch: http://www.neukoellneroper.de


http://www.andre-sokolowski.de

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