Alltagswirrnisse 
  eines Übervaters 
 
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 Marx in London an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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 Marx zum Vergnügen, so heißt ein Reclam-Bändchen mit geistreich-lustigen Zitaten der Ikone und des Vordenkers des Kommunismus, das ich in der Zeit eines dreimonatigen Praktikums bei ebenjenem Verlag mehrfach in den Händen hielt. Im Marx-Jahr des vor 200 Jahren geborenen Ökonomen und Philosophen widmet sich das Theater Bonn nun mit der Uraufführung von Jonathan Doves Oper Marx in London dem Namensgeber des Marxismus, der freilich von sich behauptet hat, selbst gar kein Marxist zu sein. Es geht wenig ernst in dieser musikalischen Komödie zu, die sehr frei Mozarts Hochzeit des Figaro zum Vorbild nimmt. Das von der Oper Bonn in Auftrag gegebene Werk über den vielleicht einflussreichsten Denker der Geschichte beruht auf der Idee und dem ausgestalteten Szenario des deutschen Regisseurs Jürgen R. Weber, der die Uraufführung selbst inszenierte. Das englischsprachige Libretto besorgte Charles Hart. Der englische Komponist Dove vertonte schließlich die Komödie mit vielschichtig-facettenreichen Zitaten.
 
 Die Oper erzählt einen Tag im Leben der Familie Marx im Jahre 1871. Marx träumt von der Revolution. Auf der einen Seite hängt er dem Ideal im Kampf für die Arbeiterklasse nach. In einer Szene schläft er und träumt von einem Chor aufstehender Arbeiter. Andererseits hat er Angst vor dem Verlust eigenen Wohlstands. Auch Gattin Jenny, gebürtig aus einer begüterten Familie, ist frustriert und aufgebracht, weil Marx ihr Tafelsilber verkauft hat. Friedrich Engels hilft der Familie gewohnheitsmäßig aus den chronischen Geldsorgen. Marx hält hitzige, klassenkämpferische Reden. Der uneheliche und unbekannte Sohn Freddy erscheint auf der Bildfläche und wirft ein Auge auf die eheliche Tochter Tussy. Auch Tussy verliebt sich in den Halbbruder, den sie zuerst für einen preußischen Spion hält und der sich als Waffennarr und Klavierlehrer ausgibt. Es kommt zu spielerischen Annäherungen. Vielfach wird auch der Größe von Marx in diversen Konstellationen gehuldigt, ohne dass die Voraussetzungen für dieses Genie erklärt werden. 
 
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 Aufeinandergetürmte Kisten und Aufbauten begrenzen die Bühne. Es lassen sich darin befindliche Gebrauchsgegenstände oder Möbelstücke erahnen. Mal sollen sie das Interieur in Marx Wohnung abbilden, mal einen Eindruck von der Metropole London geben. Die fortwährenden Wechsel der Handlungsorte werden durch hereinrollende Requisiten markiert. Diese erinnern teilweise an Maschinen und die Industrialisierung. Geschoben werden diese Gefährte – etwa ein Aufbau mit Geländer und Treppe – durch einen rußbedeckten Herrenchor in Unterhemden, der so die Arbeiterklasse darstellt. Ein vor Marx Haus lauernder Spion wird wiederholt von der Bühnendecke in einem abenteuerlich anmutenden Fluggerät herabgelassen. 
 
 Doves mal rhythmische, mal getragene, tonale Musik erinnert passagenweise wohltuend an Kompositionen von Philip Glass. Gesungen wird in Englisch, obwohl das Programmheft darüber informiert, dass in der Familie Marx auch viel Deutsch gesprochen wurde. Neben flüssig-farbenreiche, manchmal pathetisch-bedeutungsschwer anmutende Arien tritt ein lockerer, mitunter zäher Konversationston. Mark Morouse mimt den Marx mit Rauschebart souverän. Yannick-Muriel Noah, die vor Beginn des Abends ihre stimmlichen Fähigkeiten wegen Erkältung entschuldigen ließ, gibt eine intensive und dramatische Gattin Jenny. Marie Heeschen spielt die Tochter Tussy gewandt und ausdrucksstark und glänzt auch in den Koloraturen. Mit soliden darstellerischen Performances und Tenorstimmen warten auch Christian Georg als Sohn Freddy und Johannes Mertes als Friedrich Engels auf. Die britische Mezzosopranistin Ceri Williams ergänzt das recht starke Ensemble in der Rolle der Haushälterin Helene. 
 
 Der dramatisch-spannungsvolle Sound mag nur mäßig darüber hinwegzutäuschen, dass die einschließlich einer Pause zweieinhalbstündige Oper deutliche Längen hat. Die anfangs etwas verwirrende Personenkonstellation mutet betulich und nur mäßig unterhaltsam an. Es fehlt trotz der lebendigen Personenführung an Überraschungs- und Spannungsmomenten und möglichen Bezügen zum Hier und Heute. Voraussichtlich 2020 wird die Produktion auch an der Scottish Opera gezeigt. Vielleicht kann die Vorführung dort noch mehr punkten. Denn Charles Harts Wortwitz geht für das deutschsprachige Publikum teilweise ein bisschen verloren, da es schwerfällt, die schnell wechselnden Übertitel mitzulesen. 
 
 
 
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 Marx in London an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 15. Dezember 2018 ID 11101
 
MARX IN LONDON (Oper Bonn, 12.12.2018)
 Musikalische Leitung: David Parry
 Regie: Jürgen R. Weber
 Bühne und Kostüme: Hank Irwin Kittel
 Licht: Friedel Grass
 Dramaturgie: Andreas K. W. Meyer
 Choreinstudierung: Marco Medved
 Besetzung:
 Marx … Mark Morouse
 Jenny … Yannick-Muriel Noah
 Tussi … Marie Heeschen
 Freddy … Christian Georg
 Helene … Ceri Williams
 Engels … Johannes Mertes
 Spy … David Fischer
 Pawnbroker … Boyan Di
 Melanzane … Jonghoon You
 Franz … Di Yang
 Chief Inspector Littlejohn … Enrico Döring
 Sergeant … Algis Lunskis
 Foreman (Vorarbeiter) … Egbert Herold
 Solo Arbeiter … Miljan Milovic
 Chor des Theater Bonn
 Beethoven Orchester Bonn
 Uraufführung war am 9. Dezember 2018.
 Weitere Termine: 22., 28.12.2018 // 12., 20.01. / 02., 08., 14.2.2019
 Eine Koproduktion mit der Scottish Opera
 
 
 Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
          
     
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