IchundIch
von Johannes Harneit
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IchundIch an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Jörg Landsberg
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Bewertung:
Gestern erlebte die Hansestadt mit IchundIch unter der Regie von Christian von Treskow die von einem eindrucksvollen Chor unterstützte, darstellerisch, gesanglich und musikalisch grandiose Uraufführung eines Auftragswerkes der Staatsoper Hamburg. Komponiert hat die fünfaktige Oper der Dirigent und Pianist Johannes Harneit auf der Basis der gleichnamigen „theatralischen Tragödie“ von Else Lasker-Schüler (1869-1945). Letztere Autorin, die in Texten und öffentlich oft als Prinz Jussuf von Theben auftrat und auch als Zeichnerin höchst begabt war, gilt heute als eine der bedeutendsten deutsch-jüdischen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts, als Vertreterin der avantgardistischen Moderne und des Expressionismus in der Literatur. Für Gottfried Benn war ELS, wie er 1952 schrieb, gar „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“: „Ihre Sprache war ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch. Darin vermochte sie ihre leidenschaftlichen Gefühle auszudrücken, ohne das Geheimnisvolle zu entschleiern und zu vergeben, das ihr Wesen war.“ „Die poetische Liaison zwischen Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn gehört“, so kürzlich der Welt-Feuilletonist Marc Reichwein, „zu den wildesten Beziehungen der Literaturgeschichte“.
Es nimmt nicht wunder, dass die Dichterin heute im Land ihrer Väter als Der schwarze Schwan Israels tief verehrt wird.
Fast vierzig Jahre lang lebte ELS in der deutschen Hauptstadt inmitten der dortigen Bohème, wie dies jüngst (zum 150. Geburtstag der Künstlerin im Februar 2019) Jörg Aufenanger in seiner aufschlussreichen Untersuchung Else Lasker-Schüler in Berlin (erschienen dortselbst im be.bra Verlag) bewegend beschrieb.
Sie galt indes als exzentrisch - der Schriftsteller Wieland Herzfelde schilderte einen ihrer Auftritte im Café des Westens: „Sie hatte ein blaues Seidengewand an, silberne Schuhe, (auch) die Haare wie Seide, tiefschwarz. Was so überraschte: Jussuf war ganz Weib, schön, voller Sinnlichkeit.“ Gershom Scholem schrieb über ELS: „Ihre Redeweise war lyrisch-verrückt und sie verlangte von ihren Partnern, dass sie darauf ergeben eingingen. Das machte ich nicht mit. Seitdem nannte sie mich nur Herr Disput.“
ELS bewunderte Karl Kraus, den Herausgeber der Fackel. Politisch wurde sie zur Zielscheibe rechter Pressevertreter, floh vor den Nationalsozialisten nach Hitlers Machtergreifung zunächst am 19. April 1933 nach Zürich (wo man ihr keine Arbeitserlaubnis erteilte!) und lebte, weil man ihr später selbst die Einreise in die Schweiz verwehrte, von 1939 bis zu ihrem Tode am 22. Januar 1945 im Exil in Palästina, dem Hebräerland, wie sie es 1937 in einer „Reisebeschreibung“ nannte.
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Das Libretto für die bösartig-satirische Oper schrieb die Hamburger Autorin Lis Arends, die in ihren im Staatsoper-Programmheft abgedruckten luziden Reflexionen zu Else Lasker-Schülers IchundIch ausführt, die Dichterin nähme sich „in ihrem Stück das Recht heraus, für ihre Darstellung der ,Höllen und Ich-Thematik‘ die Rollen, die Charaktere und die Orte zu verdichten und auf eine verblüffende, humorvolle, provozierende Weise ineinander zu verweben.“ Das allerdings mache das Stück zu einer absoluten Herausforderung: „Es ist ein vielschichtiges ,Faust-Ich‘ (zusammengesetzt aus ihren Bildern der deutschen historischen Figur Faust, Goethes Faust, dem deutschen Dichterfürsten Goethe, der deutschen Dichterfürstin Lasker-Schüler) und es ist ein ebenso vielschichtiges ,Mephisto-Ich‘ (zusammengesetzt aus ihren Bildern hinsichtlich der allgemeinen Projektions- und Denkfigur Satan, hinsichtlich Goethes Mephisto, Elses eigenem ,Teufelchen‘ und Mephisto als göttliche Figur/göttliche Kraft, einer spielerischen, kreativen Energie).“
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Wie Johannes Blum, Leitender Dramaturg der Hamburgischen Staatsoper, in seinem brillanten Beitrag Der Fels wird morsch, dem ich entspringe und meine Gotteslieder singe (im Opernmagazin Journal 1, 2019/20) anmerkt, sollte Lasker-Schülers letztes Theaterstück IchundIch ursprünglich Der bekehrte Satan heißen: „In der Spanne zwischen diesen Titeln und ihren (ent)sprechenden Bedeutungsräumen inszenieren sich Weltpolitik, private Erlösungsphantasien und Poesie. Aber es inszeniert sich auch die Autorin selbst, indem im Titel bereits anklingt, wie sie sich zwar als gespaltene und verletzte, letzten Endes aber, nach lebenstragischen Phasen, doch in großer eigensinniger Stärke einheitliche Person sah.“
Das vielschichtige zeitgeschichtliche Drama spielt in der biblischen Hölle wie im Höllengrund, dem Hinnom-Tal (hebräisch: Gei Ben Hinnom) in Jerusalem, in der Ewigkeit wie in der Gegenwart des Jahres 1941. Es treten auf: Faust, Mephisto und Marta Schwertlein (sic!), aber auch die „Nacis“ (so auch hier die Lasker-Schülersche Schreibweise!) Göbbels, Göhring und Hitler, die Dichterin (das alter ego Lasker-Schülers), der Regisseur Max Reinhardt und der Haaretz-Kritiker Gershon Swet.
Im Programmheft-Beitrag Das Haus brennt und wir müssen jetzt handeln konstatiert Blum im Gespräch mit dem Komponisten, dass ELS den Faust-Mephisto-Konflikt aus Goethes Faust aufnähme, ihn, auch historisch gesehen, unter ein anderes Vorzeichen setze und fragt, wie diese Verschiebung zu deuten sei. Johannes Harneit, der Angesprochene, bemerkt dazu: „Sie nimmt einen deutschen Mythos und verknüpft diesen mit realen Personen des öffentlichen Lebens. Die Konfrontation ist interessant. Sie tut den Nazis was an, aber auch Faust und Mephisto. Sie tut unseren klassischen Denkfiguren etwas an, und das finde ich genial.“
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Zum Bühnenauftritt: Es fällt schwer, bei einer derartig perfekt abgestimmten und zugleich bewundernswert nuancierten Inszenierung einige Merkpunkte hervorzuheben: Beeindruckend ist es, wie die Dichterin, im Vorspiel von ihrer Lebensgeschichte berichtet, wie sie im 1. Akt die Generalprobe ihres Theaterstückes ankündigt, das, wie sie ausführt, von inneren Spaltungen, aber auch von der Kapitulation des Satans handele. Formidabel präsentiert sich die Szene, als der Regisseur Mephisto unterbricht, den er in dessen Aversion gegenüber Gott als zu eindimensional empfindet, wohingegen der neue Mephisto sich später zartsinniger offenbart. Besonders ausdrucksstark wird in der Höllenszenerie des 2. Aktes geschildert, wie Faust das Theater, das Mephisto den „Nacis“ vorspielt, nicht begreift und diesen mit kleinkarierten Argumenten rügt. Darstellerisch überzeugend wirkt, wie Göbbels (so im Text erneut die verfremdete Orthographie) im 3. Akt versucht, zarte Bande mit Marte zu knüpfen und über den neuen Jesus Adolf Hitler spöttelt. Aufregend gestaltet ist der 4. Akt: Mephisto beichtet Faust, dass er Gott das Feuer der Kreativität und Schaffenskraft gestohlen und es, Prometheus gleich, den Menschen übergeben habe - eine Anmaßung, die jetzt abzugelten sei; daneben versinken die „Nacis“ in der Höllenglut. Berührend ist im 5. Akt, wie sich Dichterin und Vogelscheuche – gerettet, gleichwohl heimatlos – Geschichten von Goethe erzählen. Der imponierende Höhepunkt ist für das Nachspiel konzipiert: Faust, Mephisto und die (verstorbene) Dichterin treten vor Gott und bringen das Feuer zurück: „Gott ist da!“
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Die Reaktion des Publikums auf die Gesangspartien? Durchgängig positiv: die Besucher reagierten teils enthusiasmiert, doch größtenteils sehr nachdenklich. Und was ging mir - altersentsprechend - durch den Kopf? Was bei Komiker Hape Kerkeling alias Horst Schlämmer ziemlich lustig klang, ist im „echten“ Leben kein Spaß: „Ich hab‘ Rücken“, sprich Rückenschmerzen. Die Sitzhocker im Zuschauerraum der Probebühne sind eine Zumutung! Noch eine Anregung: Bei den Informationen VOR den Aufführungen wäre es (wegen der Raumakustik) wünschenswert, dem Vortragenden für seine Ausführungen ein Mikrofon zur Verfügung zu stellen.
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IchundIch an der Hamburgischen Staatsoper | Foto (C) Jörg Landsberg
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Christoph Gutknecht - 4. November 2019 ID 11786
IchundIch (Probebühne 1, 03.11.2019)
Inszenierung: Christian von Treskow
Bühnenbild und Kostüme: Dorien Thomsen
Video: Ludwig Kuckartz
Dramaturgie: Johannes Blum
Chor: Christian Günther
Besetzung:
Dichterin ... Gabriele Rossmanith
Faust ... Daniel Kluge
Mephisto 1 / Göhring / Mr. Swet ... Martin Summer
Mephisto 2 ... Jóhann Kristinsson
Marte Schwertlein ... Ida Aldrian
Göbbels ... Hiroshi Amako
Vogelscheuche ... Hellen Kwon
Solo-Servierteufelin ... Bettina Rösel
Zuschauerin ... Veselina Teneva
von Schirrach ... Andre Nevans
van der Lubbe ... Joo-Hyun Lim
Hess / Ley ... Peter Veit
Gelehrter / Baal ... Mark Bruce
Soloquartett: Christina Gahlen, Ute Kloosterziel, Sungwook Choi und Mark Bruce
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Projektensemble IchundIch
Uraufführung an der Hamburgischen Staatsoper: 3. November 2019
Weitere Termine: 06., 08., 10., 12.11.2019
Auftragswerk der Staatsoper Hamburg
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-hamburg.de
Post an Prof. Dr. Christoph Gutknecht
https://www.slm.uni-hamburg.de/iaa/personen/ehemalige-emeriti/gutknecht-christoph.html
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