Frei nach
Bruegel
VIOLETTER SCHNEE von Beat Furrer (Musik) und Händl Klaus (Text)
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Gyula Orendt (Jan), Anna Prohaska (Silvia), Georg Nigl (Peter) und Ensemble in Violetter Schnee an der Staatsoper Unter den Linden | Foto (C) Monika Rittershaus
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Bewertung:
Martina Gedeck - die in Julian Roman Pölslers Film Die Wand (nach Marlen Haushofers gleichnamigem Roman) unnachahmlichen Eindruck hinterließ; und wir erinnern uns in dem Zusammenhang besonders an die Szene mit der "Frau im Schnee" - ist von Claus Guth in Beat Furrers vor paar Tagen an der Staatsoper Unter den Linden urgezeigtem Klangteppich unter dem Titel Violetter Schnee als Tanja (jener aus Solaris von Tarkowski) anbesetzt worden; gleich zu Beginn verübt sie einen Bildbeschreibungsmonolog zu Bruegels Die Jäger im Schnee, ja und man lauscht sehr angestrengt ihren gefetzten Teilsätzen und stammeligen Satzteilchen, obzwar sie wegen des doch immer mehr und mehr anschwellenden Orchesters kaum oder mitunter überhaupt nicht zu verstehen ist; ein halszierender Mikrofonverstärker hätte ihr zur Herstellung einer akustischen Balance sicherlich ganz gut getan...
"Die Welt im Ausnahmezustand. Fünf Menschen sind eingeschlossen in einem unaufhörlichen Schneewehen. Die Zeit scheint stillzustehen. Wird das jemals enden? Jacques [Otto Katzameier] bleibt inmitten der Gruppe für sich, er bejaht den Schneefall wie das Nichts, dem er sich weiht – indem er Zwiesprache hält mit dem Schnee, einverstanden mit seinem unheimlichen Wirken. Peter und Silvia [Georg Nigl und Anna Prohaska] dagegen sind bedrückt, ängstlich, pessimistisch. Jan und Natascha [Gyula Orendt und Elsa Dreisig] versuchen, die Übersicht zu behalten, weiterhin zu hoffen und tätig zu bleiben im Glauben an eine neue Zeit. Zusehends schwerer fällt allen die Fähigkeit, sich mitzuteilen. Was da namenlos geschieht, befremdet alle; sie haben keine Sprache dafür. Als eine Fremde erscheint und spricht – Tanja [Martina Gedeck!], die wie in einem Bild durch die Landschaft geht – löst sie zunächst Euphorie aus, gefolgt von tiefer Vereinsamung.
Wie ein Projektionskörper, als ein Erinnerungsraum wirkt sie; Jacques meint, in ihr seiner verstorbenen Frau zu begegnen – er rührt an die Membran zwischen Leben und Tod. Nichts aber ist stärker als die Sonne. Im violetten Aufleuchten des Schnees erfährt die Gruppe ihre Auslöschung."
(Quelle: staatsoper-berlin.de)
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Martina Gedeck (als Tanja) in Beat Furrers Violetter Schnee an der Staatsoper Unter den Linden | Foto (C) Monika Rittershaus
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Im großen "Schnee"-Kapitel aus dem Zauberberg von Thomas Mann wird klar ersichtlich, dass bei einer etwaigen Überdosis Weiß & Kalt der halluzinative Weg hin zu den Menschenfressern in gewisser Weise vorbestimmt zu seien scheint. Die Grundsituation der Personnage von Texter Händl Klaus (der eine Vorlage von Vladimir Sorokin, der dann das Libretto für den Furrer unvollendet ließ, benutzte) zielt so ungefähr in diese Richtung: Eingeschneite werden toll und sehen - ob bewusst oder unterbewusst, ist völlig wurscht - am Ende Lilaschnee; sie sendeten bis dahin auch nicht etwa große Infos hinsichtlich ihrer vorangegangenen Kurzviten aus - allein Anna Prohaska tat ihr psychisch unverarbeitetes Bratschen-Hummel-Trauma ausposaunen, mehr erfährt man allerdings dann zu den Lebensläuften oder -umständen der holden Schönen nicht...
Ja und wie seinerzeit bei Lars von Triers Melancholia , wo es auch am Anfang um ein paar sich kreuzende Privatgeschichten geht, steht "anschließend" die Welt kurz vor dem menschenauslöschenden Untergang: eine den Gähnkrampf arg herauskitzelnde Rätsel-Orgie sondergleichen.
Und von all den großartigen Schnee-Opern der letzten Jahre und Jahrzehnte ziehe ich dann schon den in 2016 an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführten South Pole von Miroslav Srnka vor; da wusste man doch irgendwie, woran man handlungsmäßig war .
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Die musikalische und bildliche Gereichung dieser Produktion ist ungeachtet aller Einwände atemberaubend!!
Matthias Pintscher dirigierte die phänomenale Staatskapelle Berlin; im Hintergrund waren die Chorstimmen vom Vocalconsort Berlin zu hören.
Étienne Pluss baute den horizontal zweigeteilten sowie abwechselnd auf-/abfahrenden Bühnenraum.
Das Video Arian Andiels, das das schon besagte Bruegel-Bild in schneeverdeckte Ganz- und Teilansichten herzitierte, hatte eine exzeptionelle Sonderqualität.
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Violetter Schnee an der Staatsoper Unter den Linden | Foto (C) Monika Rittershaus
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Andre Sokolowski - 17. Januar 2019 ID 11153
VIOLETTER SCHNEE (Staatsoper Unter den Linden, 16.01.2019)
Musikalische Leitung: Matthias Pintscher
Inszenierung: Claus Guth
Bühnenbild: Étienne Pluss
Kostüme: Ursula Kudrna
Licht: Olaf Freese
Video: Arian Andiel
Dramaturgie: Yvonne Gebauer und Roman Reeger
Besetzung:
Silvia ... Anna Prohaska
Natascha ... Elsa Dreisig
Jan ... Gyula Orendt
Peter ... Georg Nigl
Jacques ... Otto Katzameier
Tanja ... Martina Gedeck
TänzerInnen: Uri Burger, Alexander Fend, Gernot Frischling, Annekatrin Kiesel, Victoria McConnell und Filippo Serra
Vocalconsort Berlin
Staatskapelle Berlin
Uraufführung war am 13. Januar 2019.
Weitere Termine: 24., 26., 31.01.2019
Auftragswerk der Staatsoper Unter den Linden
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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