MONDPARSIFAL
ALPHA 1-8
(ERZMUTTERZ
DER ABWEHRZ)
Der will doch nur spielen - Jonathan Meese
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Bewertung:
Ein weiteres Großevent bei den diesjährigen Wiener Festwochen war mit Sicherheit der nachgeholte Parsifal-Streich des in Bayreuth als Regisseur des Wagner'schen Bühneweihfestspiels geschassten Jonathan Meese [vgl. jonathan meese ist mutter parsifal, Staatsoper Unter den Linden, 2005]. Das aus der bildenden Kunst kommende Hamburger Entfant terrible hat seine vom Bayreuther Wagnerclan aus finanziellen Gründen verhinderten Pläne nun in einer Koproduktion der Wiener Festwochen mit den Berliner Festspielen verwirklicht. Dafür hat der Komponist Bernhard Lang Wagners Libretto überschrieben und eine an Wagner, der Zwöfltonmusik Schönbergs und modernem Jazz orientierte Vertonung der von Meese jetzt MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 (ERZMUTTERZ DER ABWEHRZ) genannten Oper geschrieben, die nun im Theater an der Wien Premiere feierte.
Wagners Parsifal haben Meese und Lang als Space Opera in eine unbestimmte Zukunft gebeamt und ein Vexierspiel der musikalischen, kunsttheoretischen und popkulturellen Verweise kreiert. Da steckt neben einer unglaublichen Fülle von Zitaten aus Kunst und Kino doch noch erstaunlich viel Wagner drin. Im 1. Aufzug zeigt Meeses Bühne eine Art Gletscher, auf dem zunächst eine Wagnerfigur mit dem Rücken zum Publikum steht und anmutet wie Caspar David Friedrich’s Wanderer über dem Nebelmeer. Es ließe sich hier aber genauso gut an Nietzsche denken. Letztendlich ist es Magdalena Anna Hofmann, die Darstellerin der Kundry (bei Lang: Cundry), der Meese wie Wagner den Part der ambivalenten Symbolfigur überträgt. Anklägerin der mitleidlosen Gralsgemeinschaft im 1. Aufzug, als Barbarella die Versucherin des reinen Toren Parsifal im 2. Aufzug, und schließlich mutiert sie im 3. Aufzug als geharnischte Herzeleide mit Pfeil und Bogen zu Meeses ERZMUTTER DER K.U.N.S.T.
Parsifal (Parzefool) landet in der Eiswüste der Gralsritter mit einem Raumschiff und pflanzt das Banner der Diktatur der Kunst in den Gletscher. Der Countertenor Daniel Gloger ist der reinkarnierte Sean Connery, der als Zed aus John Boormans 1970er-Jahre-Science-Fiction Zardoz in kurzen roten Lederhosen über die Bühne stiefelt. Tómas Tómassons Amfortas (Amphortas) ist Captain Kirk mit einer rotierenden Spiral-Scheibe als Wunde vor der Brust, und der Gurnemanz (Gurnemantz) von Wolfgang Bankl steigt wie der Yeti aus dem Eisschrank und trägt wie Meese Trainingsanzug. Die Armee der Gralsritter trägt das Eiserne Kreuz. DEMUT steht auf einer Säule, doch hier ist nur Meeses Demut vor dem Meister gemeint. „RICHARD WAGNERZ IST TOTALSTCHEF“ und Meese sein „Schütze Arsch“. Mehr Hintergründe liefert das von Jonathan Meese ausgestaltete Programmheft.
Zum eingeblendeten Libretto von Bernhard Lang liefert Meese in leuchtend roten Versalien seine Kunst-Kommentare im gewohnten Telegrammstil mit dickem Ausrufezeichen: REALSTKUNST IST DER NOTSCHREI ZUKUNFT! - ENTMACHTET ALLE IDEOLOGIEN! - KUNST IST DER RELIGIONSLOSESTE RAUM! - KUNST IST FEIHEIT! usw. Komponist Lang variiert bestimmte Themen aus Wagners Musik mit elektronischen Klängen, Loops und Saxophoneinlagen, was sicher nicht nur für geübte Wagnerianer gewöhnungsbedürftig sein dürfte. Ebenso dreist wie witzig ist es, zu „Leb wohl du lieber Schwan“ das Lohengrin-Thema anzuspielen. Grandios in Form ist das Klangforum Wien unter der Leitung von Simone Young, und auch die Sangespartien sind durchaus Wagner-würdig. Fans zeitgenössischer Musik werden jedenfalls sicher auf ihre Kosten kommen.
Im 2. Aufzug nach der ersten Pause landet Parsifals Mondfahrt im Reich Klingsors, das mit einem marschierenden Chor flotter Manga-Mädchen und einem Perversling als Klingsor (Clingsore) in einer Mondlandekapsel aufwartet. Martin Winkler ist der 007-Bösewicht Dr. No, der mit Sense im Totenschiff unterwegs ist, sich mit einem Teddybären vergnügt und Kundry zur Verführung Parsifals zwingt. Auch hier dominieren wieder Meeses Zeichen- und Zitateninventar und Slogans wie: UNGOTT GRÜSST DIE K.U.N.S.T.! Es kommt zum High Noon um den Wunderspeer zwischen Parsifal und Klingsor/Kundry. Doch: DIE KUNST ÜBERLEBT ALLE(S)! Der Sieg gehört dem intuitiven Spielkind Parsifal, dem letzten der Mohikaner.
Der 3. Aufzug spielt fast komplett vor einer bühnenbreiten Projektion des Stummfilmklassikers Die Nibelungen von Fritz Lang aus dem Jahr 1924. Das scheint von allen Einfällen Meeses noch der schlüssigste zu sein. Nah an Wagner ist es sowieso. Der Mörder Siegfrieds, Hagen von Tronje, spielt hier in Gestalt von Gurnemanz noch eine Rolle. Dem heiligen Ernst und Pathos um Ehre und Treue der Nibelungen setzen Jonathan Meese und Bernhard Lang (H)ERZBLUT, RADIKALSTLIEBE und den SEHNSUCHTSSTAAT KUNST entgegen. Ein Parsifal in goldener Rüstung steht zu Amfortas‘ „Last Tango“ auf der Bühne. Es folgt das Grande Finale mit einem Gralsritter/Manga-Chor und einem schuhplattlerndem Klingsor in Lederhose. Meese textet final: K.U.N.S.T. RUF MICH AN!!!! Diese Inszenierung hätte in Bayreuth sicher einigen Unmut erzeugt, käme aber an Christoph Schlingensiefs Parsifal nicht heran. Sie ist als Kunstevent auch besser bei den Wiener Festwochen aufgehoben. Die BETA-Version des ganzen Spaßes ist dann im Oktober im Haus der Berliner Festspiele zu sehen.
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MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 (ERZMUTTERZ DER ABWEHRZ) Foto (C) Jan Bauer, Courtesy by Jonathan Meese
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Stefan Bock - 9. Juni 2017 ID 10074
MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 (ERZMUTTERZ DER ABWEHRZ) | Theater an der Wien, 04.06.2017
Oper von Bernhard Lang nach Richard Wagners Parsifal
Musikalische Leitung: Simone Young
Regie, Bühne und Kostüme: Jonathan Meese
Mitarbeit Bühne: Jörg Kiefel
Mitarbeit Kostüme: Jorge Jara
Licht: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Henning Nass
Choreografie: Rosita Steinhauser
Klangregie und Sound Design: Peter Böhm und Florian Bogner
Besetzung:
Amphortas / Amfortas ... Tómas Tómasson
Gurnemantz / Gurnemanz ... Wolfgang Bankl
Parzefool / Parsifal ... Daniel Gloger
Clingsore / Klingsor ... Martin Winkler
Cundry / Kundry ... Magdalena Anna Hofmann
1. Gralsritter ... Alexander Kaimbacher
2. Gralsritter ... Andreas Jankowitsch
1. Knappe ... Johanna von der Deken
2. Knappe ... Sven Hjörleifsson
4 Blumenmädchen ... Manuela Leonhartsberger, Xiaoyi Xu, Melody Wilson und Marie-Pierre Roy
Arnold Schoenberg Chor
Klangforum Wien
Uraufführung war am 4. Juni 2017.
Weitere Termine (in Berlin): 15., 16., 18.10.2017
Auftragswerk und Produktion der Wiener Festwochen in Koproduktion mit den Berliner Festspielen/Immersion
Weitere Infos siehe auch: http://www.festwochen.at/
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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WIENER FESTWOCHEN
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