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nachDRUCK # 5

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Uraufführung

Himmel

und Müll



Plakatmotiv (C) Kampnagel

Bewertung:    



Experimentell ist, wenn einer Mundharmonika mit einem Staubsauger spielt oder wenn eine Opernsängerin (Marcia Lemke-Kern) Töne macht, indem andere ihren Körper bewegen. Er wird gehoben und wieder fallen gelassen, auf diese Art entfleuchen ihr ein Quieken und Stöhnen, „ohhs“ und „Ahhhs“, Ausdruck hybrider Klangsphären. Der Körper - ein Resonanzraum. Weitere Instrumente sind eine Harfe (Sophie Steiner), ein Kontrabass (John Eckhardt) und Percussion aus allem Möglichen (Stefan Kohmann).

Das Ganze nennt sich "Opera silens" und ist alles andere als still.

Aufgabe von drei Kosmonauten ist es, den Himmelsmüll zu orten, einzusammeln - ja und dann? Scheint, als überträgt sich all dieser Abfall ins konstruierte Experiment, man sucht die Grenzen der Genres und kann dabei kein Ende finden. Die Cyborgs Kasimir Halbwerth (Maurizio Micksch), Dr. Stone (Theresa Berlage) und Dipl. Ing. Kowalski (Wiebke Wackermann) befassen sich mit dem Fortschrittsmüll früherer Generationen.

Himmelsmüll. Eine Weltraumoper von Sascha Lino Lemke und der opera silens ist somit raum- und zeitübergreifend, interdisziplinär bis ins Detail. Zu viele Details, der Zuschauer fühlt sich fast zugemüllt anstatt einer neuen Utopie beizuwohnen. Aber was bleibt einem, als sich mit den Bühnenkünstlern weiter im Weltraum auszudehnen - bis hin zur Dunkelheit, zur Weltenexplosion, zur paranoiden Kosmo-Astronautik?!

Dieses absurde Musiktheater- und Performancestück ist anstrengend und belustigend zugleich. Während die Bühne anfänglich noch weiß und aufgeräumt erscheint, schauen aus drei Löchern Astronauten, die später inszeniertes Chaos verzapfen. Zunächst einmal nimmt das Publikum Platz.

„Achtung! Da kommt eine Seelenwolke angeflogen.“ Wie sehen Seelen eigentlich aus? Hellblau? Und was kommt da auf 1200? Eigentlich bräuchte man Sicherheitswesten. Eine wunderbare Verspieltheit übernimmt den Raum, ein Spiel exakt nach Noten und Inspektionsprotokoll von Utopia 11, den Koordinaten im Orbit, kosmischer Fadenbreite im Nichts auf der Umlaufbahn 18 Breite, nördlicher Himmelsgarten.

Es steckt viel Arbeit in diesem Stück - es musste demnach aufgeführt werden! Mit ausschweifender Fantasie und Pattex 5 ging es durch den luftleeren Raum, weil: Es gab hin und wieder Dichtungsprobleme mit dem Publikum, d.h. es kam Langeweile auf - trotz plötzlicher Schreie und orbitaler Panik durch Kollision von Meteoriden und vergangenen Nikotinnebeln.

Die UCS „Universal Cleaning Solution“ rät zum Ausweichmanöver, Übertragung mit Funklöchern von der Station Erde. Dort sitzt ein normaler Mensch (Nicolas Rost), Kaffee trinkend geht er vorzeitig in Rente.

Aus terrestrischer Sicht finden sich hier wahrscheinlich viele allzu menschliche Kindheitsfantasien. Wirtschaftlich betrachtet, ist das Sammeln außergalaktischen Mülls nicht produktiv; die Firma geht pleite. Was fehlt, ist eine generelle ideelle Reinigungsvision. Das Welten-Gebäude hat schließlich unermessliche Größe, eine Mannigfaltigkeit und Schönheit, die Einbildungskraft und Verstand gleichermaßen beflügelt.

Es wird nach Texten von Ernst Jünger, Antonin Artaud und Immanuel Kant philosophiert.

Chaos oder Ordnung, ist hier die Frage. Gibt es Fixsterne, nach denen wir uns ausrichten können? Und was ist mit dem wirklich leeren Raum, dem Vakuum? unendliche Energie für die Zukunft? Grundsatzfragen an den Künstler und Wissenschaftler in uns. Was ist eigentlich Materie? wer verwaltet die Zeit?

Das Publikum schaut vermehrt auf die Armbanduhr.

Bevor wir jetzt allesamt in die Umlaufbahn geschossen werden, der Schwerkraft unserer Erde entzogen, eine letzte Frage:

Herrscht dort ewige Langeweile oder Frieden? Sollten wir vorher noch die Wohnung putzen? Uns irdischen Genüssen, Erinnerungen und Wünschen hingeben? Und Hunger ist hier auf der Erde so normal. Essen ist Verwandlung! Manchmal schmeckt es sogar nach Milch&Honig. Himmel auf Erden.

Hat das Chaos gesiegt? Die Bühne ist voller Papiermüll. War das jetzt alles Einbildung? Die Opernsängerin ergießt sich in höchsten Tönen. Solange das Stück nicht aufhört, wird auch dieser Text nicht enden. Wir sind Teil von jener Kraft, die man Müll nennt, Müll pure Energie, und wir haben so viel davon!

„YOU ALL. ALL. FUCK YOU ALL.“

War das jetzt im Scherz oder eine echte Kommunikation? Und warum werden die Musiker in Klarsichtfolie gewickelt? Ist das Stück am Schluss gar abgerutscht? Auch der Mond soll abgestürzt sein, genauso wie der Staubsauger von der Bühne fiel. Das Ende der Welt. Es wird dunkel. Das wäre ein guter Schluss gewesen.

Ich könnte hier aufhören zu schreiben. Jedoch…

Alles geht irgendwie von vorne los. Wir werden weiter mit dem Abrieb der Protagonisten vermüllt.

Wo ist endlich die Stille? Oder wenigstens eine Geschichte wie die von Peterchens Mondfahrt?

Literarische Ergüsse und Anspielungen sollen die Atmosphäre erhöhen und doch fragt man sich:

Fliegen oder fallen wir?

Egal!



Himmelsmüll (C) Opera silens

Liane Kampeter - 20. Februar 2015
ID 8453
HIMMELSMÜLL (Kampnagel Hamburg, 19.02.2015)
Text und Regie: Hans-Jörg Kapp
Musik: Sascha Lino Lemke
Darsteller: Theresa Berlage, Maurizio Micksch, Wiebke Wackermann und Nicolas Rosat sowie John Eckhardt (Double Bass), Stefan Kohmann (Percussion) und Marcia Lemke-Kern (Gesang)
Dramaturgie: Mascha Wehrmann
Bühne: Marcel Weinand
Kostüm: Astrid Klein
Video: Thomas Oswald
Produktionsleitung: Thomas Schmölz
Uraufführung war am 19. Februar 2015
Weitere Termine: 20. - 22. 2. 2015
Eine Produktion von opera silens und Kampnagel Hamburg in Kooperation mit 2eleven || zeitgenössische musik projekte


Weitere Infos siehe auch: http://www.kampnagel.de


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de

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