29. Mai 2014 - Konzerthaus Berlin
Dieter Schnebel: Utopien
Musikalisches Kammertheater für sechs Stimmen und Instrumentalensemble. Textzusammenstellung von Dieter Schnebel und Roland Quitt (2008-2013)
|
Truike van der Poel in Utopien von Dieter Schnebel - Foto © Adrienne Meister
|
Köpfe-Silhouetten versperr(t)en
die Sicht
|
Manchmal ist es gut mit einem stückbeschreibenden Programmheft, das uns sodurch auch in ferne Geisteswelten großer Schöpfer mitzunehmen einlädt, ausgerüstet zu sein. Im aktuellen Fall der Utopien-Uraufführung gestern Abend ganz besonders!
Die Programmnheftautoren Habakuk Traber, Dieter Schnebel, Roland Quitt verfassten da drei lesenswerte Beiträge, die uns Konzertbesuchern als ein "Rüstzeug" dienten - hier ein paar der Kernzitate:
"Raum, Stimme, Bewegung, Interaktion - das sind Urelemente des Musiktheaters. Von ihnen geht Schnebels Auftragswerk für das Konzerthaus Berlin aus. Er nannte es Utopien." (Traber)
"In diesem Stück geht es nicht um bestimmte Utopien oder gar um alle - das wäre wiederum utopisch. Vielmehr geht es um Utopie ihrem Wesen nach, und dies als Musiktheater mit beweglichen Stimmen, Klangkörpern. Als Utopie als musikalische Abstraktion, die freilich immer wieder, gar überraschend, konkret wird. Realisiert in Gängen verschiedenster Art, auch beschädigte, kranke. Unterwegs sein, Reise, Expedition." (Schnebel)
"Selbstzitate aus klassisch gewordenen seiner Stücke treten in unerwartete Wechselbeziehung im Rahmen eines Versuchs, Altes neu zu durchdenken, Quintessenz zu ziehen aus eigenem Schaffen. Elemente, die solche einer eher abstrakten Formensprache einmal waren, werden neu hier interpretiert und unverhofft ordnen sie sich Erzählerischem ein - sie werden zu Elementen einer Postmoderne, die in der Avantgarde mit aufgehoben bleibt." (Quitt)
Das Alles [s.o.] liest sich in der Tat interessant, jedoch: Es hilft und half uns bis zu diesem Zeitpunkt völlig Ahnungslosen wohl nicht wirklich weiter, wollten wir uns einen irgendwie emotionalen Zugang zu dem Werk (emotional im Sinne einer uns erwärmenden, erquickenden oder erschütternden Gereichung oder so) verschaffen, denn - es hatte doch am Ende, oder gar vom Anfang bis zum Schluss, diesen verheerend-herkömmlichen Eindruck, es mit einem "Kopfprodukt" zu tun gehabt zu haben; wir dem Neu(artig)en prinzipiell doch aufgeschlossenen Konzertlaien nennten dann sowas meistens "kopflastig" und schließen aufs Gehässigste auf eine "Kopfgeburt"; ganz wertfrei freilich ausgedrückt.
Viel Text, der von den Ausführenden [Namen s.u.] aufgesungen/aufgesagt und auch von Schnebel selbst im unverkennbar-unnachahmlich anzuhörenden Auf-Schwäbisch herzitiert wird, kommt als Materialzumutung zu uns rüber; diese reichlichen Passagen aus diversen Werken Morus', Brants, Sapphos, Paz', Conrads, Hölderlins sind alle ebenfalls in dem Programmheft nachlesbar gewesen...
Auch den reißbretthaften Werkaufbau an sich konnte man analog der im Programmheft abgedruckten "Szenenfolge der Aufführung" rein theoretisch nachvollziehen.
Regisseur Matthias Rebstock und Ausstatterin Sabine Hilscher mühten sich um eine kurzweilige Inszenierung; allerdings war es dann nur den Zuschauern, die in der ersten Stuhlreihe im Werner-Otto-Saal gesessen hattten, ungehinderter Maßen vergönnt, rein optisch Alles mitzukriegen - der Rest des Publikums hatte nur Köpfe-Silhouetten vor sich.
* * *
Dieter Schnebel (84) zählt ganz zweifelsohne zu den wichtigsten Komponisten der Nachkriegszeit. Er war mal bei den Achtundsechzigern, war Pfarrer, und er kam dann wohl "recht spät" erst zur Musik [der Schreiber dieser Zeilen hatte seine abendfüllende Oper von Majakowskis Tod in einer tollen Achim-Freyer-Inszenierung mal in Leipzig miterleben können und ihn dort, bei der Gelegenheit, zum ersten Mal gesehen und gehört] - - wenn man, in Anbetracht des Phänomens der sog. Alterswerke, einen anzustellenden Vergleich zu Henzes Phaedra (um ein Beispiel nur zu nennen) wagt, bestehen doch, naturgemäß, sehr große und sehr individuelle Unterschiede.
|
Ensembleszene aus Utopien von Dieter Schnebel - Foto © Adrienne Meister
|
Bewertung:
|
Andre Sokolowski - 30. Mai 2014 ID 7867
UTOPIEN (Werner-Otto-Saal, 29.05.2014)
Regie: Matthias Rebstock
Ausstattung: Sabine Hilscher
Dramaturgie: Roland Quitt
Mit den Neuen Vocalsolisten Stuttgart: Sarah Maria Sun (Sopran), Susanne Leitz-Lorey (Sopran), Truike van der Poel (Mezzosopran), Martin Nagy (Tenor), Guillermo Anzorena (Bariton), Andreas Fischer (Bass) sowie den Instrumentalisten Theo Nabicht (Bassklarinette), Yumi Onda (Violine), Zoé-Line Cartier (Violoncello), Kai Wangler (Akkordeon) und Matthias Engler (Schlagzeug)
Uraufführung war am 29. Mai 2014
Weitere Termine: 31. 5. / 1. 6. 2014
Auftragswerk des Konzerthauses Berlin
Weitere Infos siehe auch: http://www.konzerthaus.de
http://www.andre-sokolowski.de
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|