Du Opfer -
oder Tod in
Charlottenburg
|
Paul Nilon als Gustav von Aschenbach in Benjamin Britten's Tod in Venedig an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Marcus Lieberenz
|
Bewertung:
Als es in die Pause ging, war man doch einigermaßen gelangweilt und fragte sich, was das Ganze denn (noch) solle. So meisterhaft Britten die Partitur zu seiner letzten Oper (1973) auf das Sujet von Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig komponiert hat: das eher langsame Dauer-Lamento selbstreflektierender Passivität eines bourgeoisen Künstler-Egos ist nicht gerade von zwingender Theatralik. Weite Strecken dieser Literaturoper beinhalten dabei spätbürgerliche Philosopheme, deren Negativität und geradezu reaktionäre Klassenverhaftetheit als Operninhalt mehr als einige Probleme aufweisen. Bereits bei Britten setzt eine verengende Sicht auf den weitaus ironischeren Ansatz des Novellentextes von Thomas Mann ein, wie sie für die bürgerliche Rezeption typisch geworden war und obendrein für die interessengeleitet-schwule Literaturwissenschaft zum Verhängnis wurde.
Anders als sein Lebensgefährte Peter Pears, für den er die Hauptpartie schrieb, haderte Britten lebenslang mit der Homosexualität als (s)einem Problem. Damit ging er, wie so viele, Thomas Mann auf den Leim und identifizierte sich selbst in hohem Grade mit Aschenbach, in dem der Autor gerade eine spezielle traditionelle, lebensfeindliche Lebenshaltung entlarvt, in die Krise treibt und kritisiert. Vom Libretto Myfanwy Pipers wird die Abwertung der Homosexualität aus der Aschenbach-Philosophie direkt übernommen (dabei ist doch Aschenbach kaum etwas anderes als der großbürgerliche Bruder von Heinrich Manns kleinbürgerlichem Untertan Diederich Heßling). Die gesellschaftspolitische Sicht, die metaphorische Vorführung der Dekadenz einer Klasse, die dem Weltkrieg zutreibt, die Fragwürdigkeit ihrer verkommenen Ideale, all das bleibt in der sublimen Vertonung Brittens leider völlig auf der Strecke. Und Charlottenburg ist gewiss nicht der Ort, wo diese Dimension in einer Operninszenierung wieder eingebracht würde. Kostbar zelebriertes Selbstmitleid des Bürgerindividuums, eingeschlossen in der Kiste so perfektionierter, wie weltfremder Ästhetik, gelingt am Ende nicht der Sprung hin zu übergreifender Vermenschlichung.
Das Libretto der Oper versucht Theatralik in die epische Erzählung zu bringen, indem die Handlung episodenhaft den Ort wechselt – Münchner Friedhof, Schiffsüberfahrt, Hotel, Lido usw., die rasch wechselnde Kulisse ist ein zentrales Element: Venedig die Chiffre für Schönheit im Untergang, für das Gewesene und seine verfaulenden Reize. Nichts davon in Charlottenburg. Das karge Einheitsbühnenbild (Stuart Nunn), unveränderlicher gelber Kasten, konzentriert auf die Partitur und erhöht damit noch die schier oratorienhafte Statik des Ganzen immens. Aschenbach (Paul Nilon) referiert quasi sein inneres Erlebnis inmitten der Anordnungen, Choreografien und Tableaus dem Publikum zugewandt (der zweite Teil beginnt dann auch mit ihm am Flügel stehend, ganz Liederabendpose). Von Anfang an dominiert die monumentale Photographie eines Mannes, arg beschädigt, umrahmt von Totenpomp im Stil um 1900, ein gigantischer Strauß violetter welker Tulpen bildet einen bespielbaren Berg – es scheint, wir beobachten den toten Aschenbach auf seiner eigenen Totenfeier; und als nichts anderes zeigt sich das Geschehen im Weiteren, ein Totentanz, ausweglos. Es gibt keine Liebe, keine Alternative, es gibt nicht einmal Schönheit.
Im ersten Teil steht Aschenbachs Faszination für den Knaben Tadzio im Fokus (plakativ von einem Theaterscheinwerfer symbolisiert) der alptraumhaften Abläufe, die allerdings mit höchstem Einfallsreichtum geschickt choreografiert sind und bisweilen wunderbar sinnige Bilder erzeugen. Leider funktioniert die Chose nicht, wenn der Sänger zwar seine Partie makellos, ja glänzend singt, aber doch kaum den bedeutenden Literaten und zerwühlt alternden Mann auch darstellerisch zum Ausdruck bringt. Noch viel weniger funktioniert es, wenn die erotische Faszination gegenstandslos bleibt. Dem Tänzer des Tadzio (Rauand Taleb) ermangeln sämtliche Eigenschaften, seine Rolle und damit die fatale Leidenschaft des „großen Künstlers“ glaubwürdig zu machen: Charme, Schönheit, Liebreiz, Erotik, Charisma. Seine Ebenbilder finden wir weniger in den Marmorgalerien antiker Skulpturen als in den U-Bahn-Gängen am Kottbuser Tor. Zwar geht Aschenbachs Rede von „Phaidros“ und Platon, es erscheinen ihm im Traum Apoll und Dionysos (die „Orgiastik“ so peinlich unorgiastisch wie dergleichen oft auf Bühnen!) – doch der kleine Tadzio von Berlin verströmt mit seinem eher sehnigen, kantigen Körper allenfalls den „Zauber“ eines Kleiderständers; und sein Lächeln erinnerte mich an einen hämischen Blick von Luis de Funes. Immer nur bleiben Assoziationen von billig bedrohlichem Strichertum und Aschenbachs Verfehlung (ein Totenkopf-T-Shirt unterstreicht das ärgerlich plump).
Worum geht es eigentlich? Luchino Visconti hatte mit seinem fast gleichzeitig entstandenen Filmepos zweifellos genial die gesellschaftliche und geschichtliche Dimension der Novelle ins Bild gefasst – Aschenbach ist dort nicht bloß der verlorene Schwule, dem Ästhetik, Kunst und Leben entgleiten, sondern Protagonist einer überkommenen Position, die mit ihrer Epoche dem Untergang geweiht ist, korrumpiert von der Gewalt und Verlogenheit bürgerlicher Scheinwelten, hinter deren Kulissen nur Geldgier und Skrupellosigkeit hervorbrechen. Davon ist in Charlottenburg nichts zu ahnen. Auch die Szenenkiste bleibt geschlossen, nichts bricht auf oder ein, weder im Traum Aschenbachs, noch im (läppisch inszenierten) Kampf zwischen Dionysos und Apoll (Tai Oney) – beide in Anzug mit Schlips und Schuhen, verpuffte Möglichkeit. Übrigens, am Ende ist in Charlottenburg Tadzio tot und Aschenbach, nachdem er kurz die Pietà mimte, schleicht sich von der Bühne.
Star des Abends ist unbestreitbar Seth Carico, der schneidig, souverän und sexy als Todesbote in den vielen Rollen vom Fremden zu Anfang bis zum Gott Dionysos am Ende den unglücklichen Deutschen Aschenbach durch das Labyrinth seiner Abwege zum Abgrund führt (grandios die Pantomime des Frisierens!). Caricos prächtige Bariton-Stimme bestrickt in jeder Lage: eine mehr als überzeugende, eine hervorragende Gestaltung, die man nicht vergisst! (Nicht vergessen sei auch Samuel Dale Johnson, der unter den zahlreichen Episodenrollen stimmlich hervorstach und stellvertretend erwähnt sei). Überhaupt gewinnt der zweite Teil erheblich an Dichte, sicher auch Dank der Steigerung im Musikgeflecht. Brittens Partitur offenbart selbstverständlich ganz großartige Musik. Großartig sind die Schlagzeugpassagen eingeschichtet, die an Gamelan erinnern, am Ende flirrt der Ton bis in die höchste Lage (Bravo, Tomasz Tomaszewski!). Immer klingt das Orchester transparent und leuchtend, die Tempi sind von GMD Donald Runnicles sinnvoll gesetzt, die komplexen Strukturen wurden überwältigend lebendig. Der Regie (Graham Vick) ist einerseits nicht genug zu danken, dass sie in der Spielweise auf den modischen Naturalismus verzichtete und perfekt eine fast surreale Bilderwelt schuf, leider nur konzeptionell unzulänglich und bisweilen im bloß Illustrativen befangen.
|
Benjamin Britten's Tod in Venedig an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Marcus Lieberenz
|
Uwe Schwentzig - 20. März 2017 ID 9925
TOD IN VENEDIG (Deutsche Oper Berlin, 20.03.2017)
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Graham Vick
Bühne und Kostüme: Stuart Nunn
Licht: Wolfgang Göbbel
Choreografie: Ron Howell
Chöre: Raymond Hughes
Dramaturgie: Curt A. Roesler
Besetzung:
Gustav von Aschenbach ... Paul Nilon
Der Reisende / Der ältliche Geck / Der alte Gondoliere / Der Hotelmanager / Der Coiffeur des Hauses / Der Anführer der Straßensänger / Die Stimme des Dionysos ... Seth Carico
Apollo ... Tai Oney
Die polnische Mutter ... Lena Natus
Tadzio, ihr Sohn ... Rauand Taleb
Die beiden Töchter ... Ebru Dilber und Julia Breier
Die Erzieherin ... Anne Römeth
Jaschiu, Tadzios Freund ... Anthony Mrosek
Weitere Freunde ... Laurenz Wiegand, Philip Rozenkiewicz, Philipp Djokic, Alexander Gaida, Alexander Schank und David Lehmann
Mädchen ... Selina Senti und Anna Reinhard
Venezianer ... Martin Geisler, Fabian Lichottka und Rafael Grigoletto
Erdbeerverkäuferin ... Alexandra Hutton
Russische Mutter / Spitzenverkäuferin ... Katherine Manley
Französisches Mädchen / Zeitungsverkäuferin ... Meechot Marrero
Hotelgäste ... Maja Lange, James Kryshak, Michelle Daly, Jean Broekhuizen und Stephen Barchi
Englische Frau ... Joanna Foote
Dänische Frau / Straßensängerin ... Lisa Mostin
Französische Mutter ... Abigail Levis
Deutsche Mutter ... Irene Roberts
Russisches Kindermädchen ... Judit Kutasi
Bettlerin ... Alexandra Ionis
Hotelportier ... Andrew Dickinson
1. Amerikaner ... Robert Watson
Glasbläser / Hotelgast ... Gideon Poppe
Gondoliere / Straßensänger ... Attilio Glaser
2. Amerikaner / Gondoliere / Hotelgast ... Matthew Peña
Polnischer Vater / Clerk im Reisebüro ... Samuel Dale Johnson
Lido Bootsmann / Kellner ... Dong-Hwan Lee
Steward / Deutscher Vater / Fremdenführer ... John Carpenter
Russischer Vater / Priester ... Alexei Botnarciuc
Gondoliere ... Philipp Jekal
Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 19. März 2017.
Weitere Termine: 22., 25.03. / 23., 28.04.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de
Post an Uwe Schwentzig
Neue Musik
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|