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Premierenkritik

30. März 2014 - Staatsoper im Schiller Theater

DIE BLINDEN / DIE VERWANDLUNG

Musik von Paul-Heinz Dittrich


Abdoul Kader Traoré (als Acteur) in der Thomas-Goerge-Inszenierung Die Blinden/DieVerwandlung in der WERKSTATT im Schiller Theater - Foto (C) Vincent Stefan


Wiedergehört und

pseudoverschlingensieft


Den Komponisten Paul-Heinz Dittrich traf ich 1978 in Gera-Kaimberg. Da gab es ein paar Jahre lang die Ferienkurse für zeitgenössische Musik. Der damalige Bezirkskomponistenverband hatte sie ins Leben gerufen, und sie taten sich eines doch regen nationalen (später sogar internationalen) Zuspruches erfreuen; fast wollte man nachträglich behaupten, dass es "Untergrundveranstaltungen" gewesen waren, denn die Gästelisten lasen sich "mehr als verdächtig" - Dittrich war dann, wie gesagt, in einem jener Jahrgänge anwesender Kursleiter, und ich interviewte ihn in dem Zusammenhang. Allein der biografische Verweis darauf, dass er - damals im Westen längst kein Unbekannter mehr - das Studio für elektronische Musik in Köln für eigene Projekte nutzte und vermittels einer (West-)Einladung oder eines (West-)Stipendiums also dort verweilte, reichte den Parteiblattredakteuren bereits aus, den Interviewtext "vorsichtshalber" untern Tisch fallen zu lassen...

"Wer sich in der DDR dem oktroyierten Stilideal des Sozialistischen Realismus verweigerte, wurde von den Machthabern misstrauisch beäugt. Musiktheatralische Werke von Komponisten wie dem 1930 geborenen Paul-Heinz Dittrich hatten es schwer, auf die Bühne zu kommen. Dittrich bezog sich in seinen szenischen Kompositionen u.a. auf Autoren wie Franz Kafka oder Maurice Maeterlinck, die als sogenannte 'Dekadente' dem offiziellen Kulturweltbild der DDR nicht entsprachen. Seine Bühnenwerke, die er trickreich 'szenische Kammermusiken' nannte, kamen daher an opernfernen Häusern heraus. Auch Dittrichs Umsetzung von Kafkas Erzählung Die Verwandlung, geschrieben für fünf Vokalisten, einen Sprecher, einen Pantomimen und drei Instrumentalisten, wurde 1984 zwar von der Berliner Staatsoper produziert, aber in der (Ost-)Akademie der Künste aufgeführt. Ähnliches passierte Dittrich zwei Jahre später mit seiner Vertonung von Maeterlincks 'statischem Drama' Die Blinden (für fünf Sprecher und sechs Instrumente), deren Uraufführung im Berliner Ensemble stattfand. Angeregt durch Adorno rückte Dittrich in den 1980er Jahren in seinem Komponieren von klassischen Formen und linearem Denken ab. Mit Hilfe von Auswahlprinzipien wie z.B. der Häufigkeit von Konsonanten und Vokalen übertrug er seine literarischen Vorlagen in Tonmaterial." (Quelle: staatsoper-berlin.de)

In der WERKSTATT des Schiller Theaters tut die Staatsoper Unter den Linden seit geraumer Zeit Werke "jenes Opernschaffen(s), das in den Zeiten des Kalten Krieges hinter der Mauer entstand" reanimieren; angefangen hatte diese Reihe mit Friedrich Goldmanns R. Hot bzw. Die Hitze; es folgten Reiner Bredemeyers Der Neinsager und nunmehr (als Doppel-Projekt) Dittrichs Die Blinden/Die Verwandlung:




Totalansicht von Paul Heinz Dittrichs Die Blinden/DieVerwandlung in der WERKSTATT im Schiller Theater - Foto (C) Vincent Stefan



So vom Hören her staunt man da gar nicht mal so schlecht - die beiden Werke, über 30 Jahre "alt", klingen dawegen immer noch ganz schön avantgardistisch! Dittrich hatte hier - bei beiden Stücken - jeweils mit Sprechchor oder Sprecher sowie einer ausgefeiten kammermusikalischen Zusammensetzung (Bläserquintett und Cembalo bei den Blinden / Violine, Bassklarinette und Violoncello bei der Verwandlung) gearbeitet; in seiner sog. "Käfig-Musik" nach Kafka hatte er zudem fünf Vocalisten und einen Acteur mitkomponiert. Allein das wunderschöne und artistisch-komplizierte Geigen-Solo oder auch der wundersame und halsbrecherisch-artifizielle Sopran-Part waren und sind es wert, genauer hinzuhören; Thorsten Rosenbusch und Lydia Brotherton ließen besonders dann bei diesen angezeigten Stellen den ansonsten stark beeinträchtigten Aufmerksamkeitsgrad des handverlesenen Premierenpublikums in Kurzaufwallungen geraten.

Diese Art konzentrationsbedingtes Teil-Manko (= öffentlich-allgemeines Rezeptionsverhalten) war zuvörders der bescheuerten Regietat des im Schlingensief'schen Schlepptau sich geradezu dann ungehemmt und unverschämt bewegt habenden Künstlers Thomas Goerge zuzuschreiben! Jener hätte dem Vernehmen nach bereits am legendären Bayreuth-Parsifal (2004-2007) an der von Christoph Schlingensief bestellten Bühne Daniel Angermayrs mitgebaut - frühestens da hätte er doch begreifen können, dass das Schlingensiefische Sinnüberreizungen-Prinzip ein personalgebundenes und nur auf seinen Schöpfer und Gesamtkunstwerkler passendes, passbares war. Es ist und bleibt in keiner Weise je kopierbar! Sonst noch Fragen?

Jedenfalls hat Goerge diese zwei doch (musikalisch!!) sehr, sehr achtenswert reanimierten Dittrich-Stücke durch sein ungestümes künstlerisches Zutun derart zugemüllt, dass einem schon - und ganz besonders dann an einer Stelle, wo sich (während die Musik als leise/leiser vorgeschrieben und auch demgemäß dann vorgetragen wird) ein bühnenbildnerischer Guckkasten in einem Laufrad lautstark dreht - die Galle überkochen konnte! Die gesamte WERKSTATT steht und hängt zudem voll Zeugs... Acteur Abdoul Kader Traoré geht durch die Reihen, hält zumeist ein Schild um sich geschnallt, wo drauf steht "Ich kann Kunst nicht mehr sehen" (s. Foto oben rechts) und soll uns sicherlich auch noch das hochbrisante und hochkomplizierte Lampedusa-Einwanderungsthema arg verdeutlichen oder es in uns wach rufen - das hätten wir im Übrigen, ganz unabhängig von der Inszenierung und den hochvorzüglich eingearbeiteten Lampedusa-Stellen im Programmheft (Redaktion: Katharina Winkler), sicherlich auch ohne diesen Wink mit Zaunspfahl eingesehen und verstanden!

Exzellentes Musizieren, wie schon angedeutet!! Dirigent war Diego Martín Etxebarría.




Das ist der von uns angemahnte bühnenbildnerische Guckkasten im Laufrad, den sich Thomas Goerge für das Doppel-Projekt von Paul-Heinz Dittrichs Die Blinden/DieVerwandlung in der WERKSTATT im Schiller Theater ausgedacht hat - Foto (C) Vincent Stefan



[Ja und weil das Ganze diesmal ziemlich auseinanderdriftete, haben wir uns zu einer doppelten Bewertung kurzentschlossen (s.u.).]


Musikalische Bewertung:    

Szenische Bewertung:     

Andre Sokolowski - 31. März 2014
ID 7716
DIE BLINDEN/DIE VERWANDLUNG (Werkstatt, 30.03.2014)
Musikalische Leitung: Diego Martín Etxebarría
Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und Video: Thomas Goerge
Dramaturgie: Katharina Winkler
Besetzung:
Sopran ... Lydia Brotherton
Mezzosopran ... Claudia van Hasselt
Tenor ... Joachim Vogt
Bass ... Jörg Gottschick
Sprecher / Live-Video ... Lionel Poutiaire Somé
Acteur ... Abdoul Kader Traoré
sowie Thorsten Rosenbusch (Violine), Nikolaus Hanjoh-Popa (Violoncello), Hartmut Schuldt (Bassklarinette / Klarinette), Virgile Aragau (Flöte), Rebekka Löw (Oboe), Romain Lucas (Fagott), Matias Piheira (Horn), Frank Gutschmidt (Cembalo) und Nils Micheli (3D-Audioglocke)
Uraufführung Die Blinden war am Berliner Ensemble, 1986.
Uraufführung Die Verwandlung war in Metz, Frankreich, 1983.
Premiere der Neuinszenierung: 30. März 2014
Weitere Termine: 2., 4., 5., 9. + 11. 4. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de


http://www.andre-sokolowski.de



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= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal




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