Granatapfel im Möbellager
PROSERPINA von Wolfgang Rihm
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Bewertung:
„Und was du suchst, liegt immer hinter dir.“
(Goethe, Proserpina)
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Verzweifeltes Suchen und hoffnungsloses (Nicht-) Finden treibt diese Proserpina [s. unsere Kritik v. 18.06.2010].
Siebzig Minuten lang ist sie auf einer nostalgischen Fahndung nach Bildern der Vergangenheit mit einem zeitlosen Blick nach vorn. Sie will ihr früheres Leben, ihre Freiheit, ihre Familie zurückhaben. Sie braucht Energie und Kraft - und vor allem einen Ariadne-Faden, um aus Plutos Hölle heraus zu finden.
Regisseurin Valentina Carrasco und Ausstatter Carles Berga haben Goethes Regieanweisung ("Eine öde felsige Gegend, Höhle im Grund, auf der einen Seite ein Granatbaum mit Früchten") umgesetzt und die Bühne in ein rosafarbiges, felsenartiges Christo-und-Jean-Claude-Möbellager - so würde man die Polstermöbel abdecken, wenn man lange Zeit auf Reisen geht und die guten Stücke nicht verstaubt wieder finden möchte - verwandelt; inspiriert haben sie sich an den Arbeiten des französischen Künstlers Clay Apenouvon, der auch die Kostüme entworfen hat. Die um die Überzüge geschlungenen Kletterseile sind vielleicht die Pfade, die nach oben oder nach unten führen; noch ist die Welt für Proserpina nicht verloren. Der Schein trügt!
Plötzlich kommt Leben unter diese Schutzhüllen, und es schälen sich aus ihnen langsam Proserpinas unbeschwerte, gesichtslose Schaufensterpuppen-Gespielinnen und werden zu lebenden Bildern. Blätter rieseln von der Decke. Wir sind hier noch eindeutig auf der Wiese unterm Ätna, auf der Proserpina Blumen zu pflücken pflegte, bevor der alte Pluto sie entführte. Im Verlauf der nächsten guten Stunde werden die anonymen Freundinnen zu Parzen und Danaiden. Mit dem lüsternen Genuss eines Granatapfels, der ihr Kleid mit blutrotem Fruchtsaft verschmutzt, verschwindet dann der letzte Fetzen Stoff und es bleibt ein gülden-feuriges Schlafgemach, verziert mit schwarzem Höllenpech und Schwefel. Proserpina wird zu einer immer noch kämpfenden und lamentierenden Königin der Unterwelt und des Totenreiches. Ihre Untergebenen wickeln sie in schwarze Frischhaltefolie und fesseln sie ans Bett. „Was hab ich verbrochen, Daß ich genoß?“ lässt Goethe Proserpina fragen. „Und der Biß des Apfels macht dich unser! Königin, wir ehren dich!“ antworten bei ihm die Parzen.
Die Wut kommt gleich nach der verzweifelten Hoffnung, Zorn auf die Eltern Jupiter und Ceres, Groll über die unüberbrückbare Götterhierarchie, die sie machtlos dastehen lässt. Spätestens hier merkt auch sie, dass es kein Entkommen mehr gibt.
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Proserpinas Monolog ist der einer verzweifelten Frau, die dort, wo sie ist, nicht sein will und sein kann, aber keine Möglichkeit hat, sich zu befreien. Denn im Gegensatz zur griechischen Persephone, die jedes Jahr wenigstens ein paar Monate ans Licht darf und so den Frühling hervorholt, kommt Goethes Proserpina nie an die Oberfläche, sie ist eine Dauergefangene, der man die letzte Würde genommen hat, aber trotzdem nie Teil der Unterwelt sein wird. Sie ist und bleibt ein zeitloser, ungemütlicher Fremdkörper. Proserpina könnte genauso eine im Haushalt gefangene Frau, wo auch immer auf der Welt, sein, meinte Komponist Wolfgang Rihm vor Aufführungsbeginn.
Liebreizend und mild, wütend und rebellisch, erotisch und kindlich-schüchtern die wunderbare, umwerfende Mojca Erdmann. Lyrisch, gefällig, hörbar, stark und beeindruckend die Musik Rihms, Referenzen an Mozart und Brahms und immer wieder an Schönbergs Sprechgesang. Rihm hat Erdmann diese Rolle auf den Leib geschrieben, und sie passt wie angegossen! Sie singt, spielt und spricht, wie es besser nicht sein kann. Erdmann hat auch bei der Welturaufführung 2009 in Schwetzingen gesungen; damals hatte Neuenfels inszeniert.
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Mojca Erdmann als Prosperina von Wolfgang Rihm am Teatro dell’Opera di Roma | Foto (C) Yasuko Kageyama- Opera di Roma
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Wolfgang Rihm's Proserpina für Solosopran, Frauenchor und kleines Orchester (Streicher, Flöten, Klarinetten und Perkussion im Graben, Trompete und Tuba auf der Bühne) ist Rihms achte Oper. Für Goethes Monodrama von 1778 hat er sich entschieden, weil ihn das Düstere und Geheimnisvolle darin faszinierte, und dann war da natürlich der Rhythmus des Gedichtes. Es waren nur noch die Noten zu platzieren. Rihm stellte sich seinerzeit die Frage, ob Goethe bei der Dichtung wohl an das Leben seiner Schwester Cornelia dachte, die sehr unglücklich in ihrem Ehegefängnis war.
Mit Proserpina (als Neuproduktion der Oper Rom) ging das erste FAST FORWARD FESTIVAL mit großen Erfolg zu Ende. Unterstützt wurde die Produktion durch das Goethe Institut Rom.
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Christa Blenk - 8. Juni 2016 ID 9367
PROSERPINA (Teatro Nazionale, 07.06.2016)
Musikalische Leitung: Walter Kobéra
Regie: Valentina Carrasco
Soprano: Mojca Erdmann
Bühnenbild: Carles Berga
Inspiriert von Clay Apenouvon
Kostüme: Clay Apenouvon
Licht: Patrizio Maggi
Mit: Mojca Erdmann (als Prosperina)
Chor und Orchester des Teatro dell’Opera di Roma
Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen: 2. Juni 2009
Italienische Erstaufführung am Teatro dell’Opera di Roma: 7. Juni 2016
Weitere Termine: 8. + 9. 6. 2016
FAST FORWARD FESTIVAL 2016
Weitere Infos zum FAST FORWARD FESTIVAL 2016
Post an Christa Blenk
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