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Besprechung

Intolleranza 1960 von Luigi Nono

an der Staatsoper Hannover

Berührungsängste darf man als Zuschauer nicht haben bei Luigi Nonos Intolleranza 1960 an der Staatsoper Hannover. Jeder, der sich gemütlich in seinem Zuschauersitz niederlassen möchte, wird an diesem Abend enttäuscht. Aber im Gegenzug wird man mit einem intensiven Theatererlebnis belohnt, das in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Perspektiven bietet. Die Aufführung beginnt zwar im Zuschauerraum, aber die Sitzreihen sind verhängt, und gleich anschließend geht es auf die Bühne des Staatstheaters, und der eiserne Vorhang zum Zuschauerraum wird heruntergelassen. Knapp 90 Minuten ist man hier nun gemeinsam mit den Darstellern auf der Bühne gewissermaßen eingesperrt – Sitzplätze gibt es nur wenige, mit etwas Glück erhascht man noch ein Sitzkissen, ansonsten heißt es stehen. Aber den Protagonisten in Nonos Intolleranza 1960 ergeht es ja auch nicht besser, eher schlechter: Sie werden zusammengepfercht, bei dem Versuch, gegen die ungerechten Verhältnisse zu protestieren, niedergeschlagen, verhaftet, gefoltert. Und schlussendlich bricht auch noch ein Damm und Wasser läuft – recht realitätsnah – auf die Bühne.

Als Zuschauer ist man immer mittendrin, wenngleich es auch jederzeit möglich ist, sich zurückzuziehen, die Geschehnisse aus der Distanz zu verfolgen. Ganz so unbequem, wie anfangs angedeutet, ist es auch nicht. Man muss nur den Mut haben, sich einen Platz zu suchen. Der Umgang ist stets freundlich, das Geschehen spielt eher in der Menge und inmitten der Zuschauer, als dass zu einer aktiven Beteiligung aufgefordert wird. Schließlich kann jeder Zuschauer selbst entscheiden, ob er zusammen mit den Darstellern bei einer Demonstration auf die Barrikaden geht oder sein Nachlager auf dem Bühnenboden auf einer Armeedecke bezieht. Und wann hat man schon einmal die Gelegenheit, von der Bühne aus in die leeren Zuschauerränge eines großen Theaters zu schauen oder auf dem Rücken liegend in den Bühnenhimmel voller Technik zu blicken?

Wie präzise bei all dieser Wuseligkeit und Übersichtlichkeit unter der Leitung von Stefan Klingele musiziert wird, ist beeindruckend. Die Einsätze sitzen, und der Klang scheint von überall her zu kommen. Beeindruckend ist auch, dass alle Beteiligten genau wissen, was sie tun. Die Sänger überzeugen mit großer Präsenz in der sicherlich auch für sie ungewohnten Aufführungssituation. Und die zahlreichen Statisten agieren mit eindrucksvoller Intensität und ohne Kontaktscheu. Wenn sich zum Schlussapplaus alle Musiker, Sänger und Statisten auf der Bühne einfinden, bekommt man eine Ahnung von der großen Kraftanstrengung und organisatorischen Herausforderung, die diese Aufführung sicherlich für die Staatsoper Hannover darstellt.

Was bei alledem etwas auf der Strecke bleibt, ist der Inhalt. Schon die Struktur des Stückes, das aus vielen kleinen Einzelszenen besteht, macht es schwierig, den Überblick zu behalten. Nono hat Intolleranza 1960 als Protest gegen Intoleranz und Unterdrückung geschrieben und lässt die Figur des Emigrante, der aus einem Bergarbeiterdorf in seine Heimat zurückkehren möchte, in Situationen geraten, in denen diese abstrakten Themen durchgespielt werden: Verhaftung bei einer Demonstration, Folter, Konzentrationslager, Flutkatastrophe. Da wird es naturgemäß auch nicht einfacher, wenn man als Zuschauer inmitten einer Menge steht und dazu noch Texte von Sartre, Brecht u.a. bzw. Porträts der Beteiligten an vier Wände projiziert werden. Man sollte also besser gut vorbereitet in diesen Theaterabend gehen – oder ihn entsprechend nachbereiten. Das tut dem Ganzen jedoch keinen Abbruch. Intolleranza 1960 ist in der Regie von Benedikt von Peter ein gewagtes Experiment, das dem Stoff gerecht wird und in jeder Hinsicht aufgeht.
Karoline Bendig, 29. Oktober 2010
ID 4914
Weitere Infos siehe auch: www.oper-hannover.de





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