Üppig-gläubig - schöner Wiedergutmachungsversuch für Walter Braunfels
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Walter Braunfels (1920) - Fotoquelle: walterbraunfels.de
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Der Konzertkalender vom Braunfels-Blog (siehe unter http://walterbraunfels.de) verweist allein für dieses Jahr auf 10 Reprisen oder Erstaufführungen deutschland- und weltweit. Und so gab und gibt es beispielsweise im März Don Juan in Altenburg und Gera (am 18. Mai nachzuhören auf DeutschlandradioKultur), im Juni Präludium und Fuge op. 36 für Orchester als Orgelbearbeitung im Kölner Dom oder im August Jeanne D’Arc - Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna bei den diesjährigen Salzburger Festspielen zu erleben...
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Walter Braunfels (1882-1954), dessen jüdischer Vater Jurist und Germanist gewesen war und dessen (nicht jüdische) Mutter, eine Großnichte des Komponisten Louis Spohr, mit Clara Schumann und Franz Liszt in Freundschaft stand, wurde im Dritten Reich - weil er nach den Nürnberger Rassegesetzen als "Halbjude" gegolten hatte - von den Nazis mit Berufsverbot belegt. Seine Rektorenstelle an der Kölner Musikhochschule war er damit los; seine damalige Reputation als Tonschöpfer geriet auf einen Nullpunkt, seine Werke wurden ab dem Tag nicht weiter/nicht mehr aufgeführt. Ähnlich erging es seinen Leidgefährten Krenek, Korngold. Nur dass sie - im Gegensatz zu ihm, der längst noch nicht mit seiner kreativen Eigensuche abgeschlossen oder seinen schöpferischen Höhepunkt erlangt hatte - wohl was berühmter als er waren. "Seine Tonsprache zeichnet sich vor allem durch stark durchromantisierte, bis an die Grenzen der Tonalität getriebene Harmonien aus, sowie durch eine sehr breite Ausdruckspalette, die von geradezu asketischer Sparksamkeit über ironische und groteske Wendungen Anklänge an den musikalischen Neoklassizismus bis hin zu ekstatischen Ausbrüchen reicht", beargwöhnt Wikipedia Braunfels' Komponierstil, der angeblich nach dem Zweiten Weltkrieg "von den Vertretern der musikalischen Avantgarde als nicht mehr zeitgemäß empfunden" worden wäre.
Einen ungefähren Eindruck von dem Allen (s. o.) tat uns jetzt ein Aufsehen erregendes Konzert des Philharmonischen Chors Berlin (in Kooperation mit der Berliner Singakademie, den Knaben des Staats- und Domchors Berlin sowie dem Konzerthausorchester Berlin und einem handverlesenen Solistenquartett mit Simone Schneider, Gerhild Romberger, Christian Elsner und Robert Holl) vermitteln. Unter der Gesamtleitung von Jörg-Peter Weigle, einem der profundesten Kenner und Könner chorsinfonischer Literatur vom Anfang bis zur Gegenwart, wurde die Große Messe op. 37 von Walter Braunfels - über 85 Jahre nach ihrer Uraufführungsserie (währendder sie auch im Jahre 1927 in Berlin schon mal geboten worden war) - jetzt an der Spree gewissermaßen "wiederaufgeführt". Das Resultat hatte spektakuläre Qualitäten!
Braunfels schrieb die Messe in unmittelbarer Korrespondenz zu seinen Fronterlebnissen im Ersten Weltkrieg (1917 kehrte er als Kriegsversehrter heim) sowie im Zuge seines prompten "Übertritts" zum Katholizismus. Eine Art von religösem Bekenntnis machte sich bei ihm bzw. seinen Werken ab der Konvertierung Luft - wenn man hingegen heute seinen überinbrünstigen geistlichen Musiken lauscht, ist man vielleicht dann doch ein bisschen enerviert ob ihres üppig-gläubigen Gehalts.
Nichts desto Trotz bewies uns heute Abend der die Große Messe ausgeführt habende Riesenapparat an Mitwirkenden, dass es schon mitunter lohnte, derartigen Raritäten, die man ja weiß Gott nicht jeden Tag zu hören kriegte, aufgeschlossener denn je zu lauschen. Was uns an der Sichtweise und Interpretation von/durch den Weigel ganz besonders auffiel: Dass er "seine" Massen zu disziplinieren, zu dosieren wusste. Und die Chöre insgesamt hörten sich doch dann wiederum mehr schlank-geradlinig als dicklich-flatternd [wie wir es - nur zum Vergleich - erst vor drei Tagen bei der Holländer-Premiere an der Staatsoper erdulden mussten] an.
Wir sind im Nachhinein vom Werk verblüfft und zeigen uns von dessen Aufführung begeistert.
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Andre Sokolowski - 2. Mai 2013 ID 6726
PHILHARMONISCHER CHOR BERLIN (Philharmonie Berlin, 01.05.2013)
Walter Braunfels: Große Messe g-Moll op. 37
Simone Schneider, Sopran
Gerhild Romberger, Alt
Christian Elsner, Tenor
Robert Holl, Bass
Philharmonischer Chor Berlin
(Einstudierung: Jörg-Peter Weigle)
Berliner Singakademie
(Einstudierung: Achim Zimmermann)
Knaben des Staats- und Domchors Berlin
(Einstudierung: Frank Markowitsch
Konzerthausorchester Berlin
Dirigent: Jörg-Peter Weigle
Gemeinschaftskonzert mit der Berliner Singakademie
Dieses Konzert wurde von Deutschlandradio Kultur mitgeschnitten und wird am 11. Juni 2013 um 20:03 Uhr gesendet.
Weitere Infos siehe auch: http://www.philharmonischer-chor.de/
http://walterbraunfels.de
Rezensierte Werke von Walter Braunfels auf KULTURA-EXTRA:
Die Vögel
Konzerthausorchester Berlin (Lothar Zagrosek)
29.03.2009
Te Deum
Deutsches Symphonie Orchester (Manfred Honeck)
08.06.2008
Jeanne d'Arc - Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna
Deutsche Oper Berlin (Ulf Schirmer)
02.05.2008
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