Ein politisches
Projekt
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Negar von Marie-Ève Signeyrole und Keyvan Chemirani - in der Tischlerei der DOB | Foto (C) Eike Walkenhorst
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Bewertung:
In einer Mischung aus Dokumentation und filmischer Fiktion erzählt Marie-Ève Signeyrole von Teheran um das Jahr 2013. Widersprüche prägen das Leben. Strenge Verbote auf der einen, reges Nachtleben auf der anderen Seite. Wer immer in einer Diktatur gelebt, kennt diese Normalität abseits jeglicher Ideologie. Die Iranerin Shirin kehrt nach Jahrzehnten in ihre Heimat zurück. Mit ihren Kindheitsfreunden Negar und Aziz verlebt sie aufregende Tage zwischen alten Erinnerungen und ihrer eigenen westlichen Identität. Im Laufe von schrillem Nachtleben und Traditionellem entwickelt sich schließlich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung zwischen Shirin und Negar. Das Coming-Out ihrer lesbischen Liebe wird zum Akt des Widerstands und der Selbstbehauptung. Das System der Unterdrückung und Überwachung schlägt brutal zurück und vergiftet die Beziehungen der Protagonisten.
In Negar treffen Elemente aus unterschiedlichen musikalischen Richtungen aufeinander. Keyvan Chemirani hat sich aus seinen Erfahrungen mit der traditionellen persischen Musik, dem Jazz und dem Barock bedient. Die Musik versucht Brücken zu schlagen. Der Komponist selbst spielt Zarb, ein klassisches persisches Perkussionsinstrument. Er hat es als Kind mit seinem Vater gespielt, dieser lernte in den sechziger Jahren, bevor er nach Frankreich emigrierte.
Die Inszenierung in der Tischlerei der Deutschen Oper lebt von viel Live Audio-Technik. Kameras filmen das ganze Geschehen, welches simultan auf zwei riesige Leinwände übertragen wird. Nebel und Windmaschinen sollen Realität suggerieren. Die Stimmen werden durchweg über Headsets übertragen. Musiker aus dem kleinen Orchester wechseln auf die Bühne, welche sich zwischen den zwei Sitztribünen des Publikums befindet.
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Marie-Ève Signeyrole war noch nie im Iran. Ihre Erfahrungen kommen aus Recherchen und Interviews, und im Team des Projektes sind viele Exil- oder Halb-Iraner. Auch Keyvan Chemirani kennt den Iran nicht sehr gut. Beide haben sich den Stoff journalistisch angeeignet und eine fiktive Dokumentation geschaffen. So montagehaft der Stoff daherkommt, so wirkt auch die Musik. Lyrische Stimmen neben perkussiven persischen Elementen. Notierter Barock neben improvisierten Jazzelementen. Als Musiktheater kann das Projekt nicht überzeugen. Auf der inhaltlichen Ebene fehlt das Allgemeingültige und Abstrakte, das, was „große“ Oper ausmacht. Im ästhetischen Bereich verlieren die schönen Stimmen der Solisten durch die elektronische Übertragung das Persönliche und Emotionale. Und technische Dinge wie die leichte Verzögerung visuellen und der akustischen Live-Projektionen oder das permanente Auf- und Abbauen von Ausstattungselementen stören sehr. Im Großen und Ganzen ein sehr politisches Projekt, ein künstlersicher Beitrag zu den aktuellen Ereignissen im Iran.
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Negar von Marie-Ève Signeyrole und Keyvan Chemirani - in der Tischlerei der DOB | Foto (C) Eike Walkenhorst
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Steffen Kühn - 30. Oktober 2022 ID 13881
NEGAR (Tischlerei, 29.10.2022)
Musikalische Leitung: Albert Mena
Komposition: Keyvan Chemirani
Inszenierung und Text: Marie-Ève Signeyrole
Text und dramaturgische Beratung: Sonia Hossein-Pour
Bühne: Fabien Teigné
Kostüme: Yashi
Video: Jules Gassot und Marie-Ève Signeyrole
Dramaturgie: Dorothea Hartmann und Konstantin Parnian
Besetzung:
Negar, die große Schwester ... Golnar Shahyar
Shirin, Freundin der Kindheit, Einwanderin aus Frankreich ... Katarina Bradic
Aziz, der große Bruder ... Julian Arsenault
Amir Hossein, der kleine Bruder / Polizist ... Dean Murphy
Sahar, die kleine Schwester / Polizistin ... Arianna Manganello
Keyvan Chemirani and friends
Instrumentalistinnen und Instrumentalisten
UA an der Deutschen Oper Berlin: 29. Oktober 2022
Weitere Termine: 31.10./ 01.-06.11.2022
Eine Koproduktion mit Opéra Orchestre National de Montpellier Occitaine
Weitere Infos siehe auch: https://deutscheoperberlin.de/
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
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