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Konzertkritik

Bernsteins

Kaddish-

Sinfonie



Bewertung:    



Das weit über die Grenzen Leipzigs hinausstrahlende MDR-Sinfonieorchester - schon in der DDR war das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig (so sein damaliger Name) eine Institution, die v.a. durch seinen langjährigen Dirigenten Herbert Kegel international "auf Vordermann" gebracht wurde und diesbezüglich weltweit mitzureden in der Lage war - wird seit dem Sommer 2020 von Dennis Russell Davies (78) dirigiert und künstlerisch geleitet; die hauptsächlichen Wirkungsstätten des in Ohio geborenen Pultstars waren und bleiben Häuser und Orchester im deutschsprachigen Raum, vor seiner Leipziger Berufung war er daher beispielsweise in Basel, Linz und Stuttgart ansässig und tätig.


"Davies engagierte sich bereits in den 70er und 80er Jahren für Komponisten wie Philip Glass, Aaron Copland, Mauricio Kagel, Luciano Berio, John Cage, Hans Werner Henze, Leonard Bernstein, William Bolcom, Gija Kantscheli, Arvo Pärt, Manfred Trojahn, Thomas Larcher, Chen Yi, Laurie Anderson und viele andere mehr. Er dirigierte zahlreiche Ur- und Erstaufführungen in Konzert und Oper, darunter aus der legendären Philip-Glass-Trilogie Satyagraha und Echnaton am Staatstheater Stuttgart in der Regie von Achim Freyer, Henzes Die englische Katze und König Hirsch. 1977 gründete er das American Composers Orchestra in New York mit, das er 25 Jahre leitete; er widmete sich dort der Aufgabe, nicht nur US- sondern auch südamerikanischen Komponisten ein Forum zu bieten. Durch die vielen Kompositionsaufträge, die er weltweit in fünf Jahrzehnten auf den Weg brachte, hat er die Musikgeschichte des 20. und des 21. Jahrhunderts mitgeschrieben." (Quelle: mdr.de)


Jetzt ging er mit seinem Orchester zuzüglich des ebenso renommierten MDR-Rundfunkchors & -Kinderchors sowie der Sopranistin Sarah Wegener und dem Bariton Thomas Hampson mit drei zeitgenössischen Werken amerikanischer Komponisten auf Konzerttournee nach Hamburg und Berlin - im Mittelpunkt der beiden Auftritte stand zweifelsohne Leonard Bernsteins monumentale Vokal-Sinfonie Kaddish:


"Sie bezieht sich auf das jüdische Gebet Kaddish, das traditionell zum Gedenken an die Toten gesprochen wird, sich aber zum Leben bekennt und um Frieden bittet. Diese Dritte Sinfonie ist damit ein groß angelegter 'Hymnus an das Leben im Angesicht des Todes', in der Zwölftönigkeit auf Jazz und West Side Story-Anklänge trifft. Den Sprechertext für sein Werk schrieb der Komponist selbst – so ist Kaddish auch ein sehr persönliches Werk, das sich mit der jüdischen Tradition, aber auch mit dem Glauben und Zweifeln sowie Tod und Verlust auseinandersetzt.

Schon bei der erfolgreichen Uraufführung im Dezember 1963 in Israel war die
Kaddish-Sinfonie zu einem Denkmal geworden: Bernstein widmete sie der 'Erinnerung an John F. Kennedy', der wenige Wochen zuvor ermordet worden war. Nicht ganz zufrieden mit dem Werk, überarbeitete und straffte der Komponist es 1977 nochmals. So kann nun die Sprecherrolle sowohl von einer Frau als auch einem Mann ausgeführt werden." (Quelle: mdr.de)

*

Und so vermochte Thomas Hampson (der dann ohnehin gerade in Berlin weilt, um die SCHUBERT-WOCHE, die er jedes Jahr um diese Zeit im Pierre Boulez Saal künstlerisch verantwortet und auch durch Mitsingen oder diverse Workshops viel, viel Publikum magnetisiert) die eigne Stimme relativ zu schonen, denn er brauchte lediglich den Sprechtext aufzusagen - und den Rest, all das Gesangliche, besorgten die zwei Chöre und die Sopranistin Wegener. Wobei: "Schonen" dürfte vielleicht die schiefste und die ungerechteste Vokabel angesichts der wahrlich kräftezehrenden Aufsagung des von Bernstein selbst verfassten Mega-Textes sein, worin der Lenny seinem Herrgott ziemlich vorwurfsvoll dessen Leviten liest, ihn fast dekonstruiert und - trotz der vielen, vielen "Amen", die's da gibt - quasi in Zweifel stellt à la "Wie kannst du all die Gräuel, die um uns herum passieren, zulassen und schreitest da nicht ein" o.s.ä.; und das gibt besonders hier und jetzt zu denken, hält man sich das fürchterliche Kriegsleid in der Ukraine aktuell vor Augen!

Ein gigantisch ausuferndes Opus mit so einem merkwürdigen Hang zur Auferstehungssinfonie-Epigonie - ja, Bernstein liebte Mahlers Zweite über alle Maßen.

Und ich fühle mich priviligiert, das Werk dann endlich auch mal live erlebt zu haben, danke.




MDR-Sinfonieorchester | Bild: MDR/Andreas Lander

*

Karsten Witt und seine Schwester-Firma CLSX.de sind die Veranstalter einer Konzertreihe (in der auch der von mir obig besprochene Auftritt der MDR-Ensembles stattfand), die Witt höchstselbst anmoderiert und wo es vorher Einführungen zu den jeweiligen Werken, die erklingen werden, gibt. Die von ihm in Auftrag gegebenen Programmhefte, die kostenlos verteilt werden, sind hochprofessionell geschrieben. Der Besucherkreis unterscheidet sich sehr deutlich vom herkömmlichen Abonnement- und Laufpublikum der in Berlin ansässigen Orchester - er scheint deutlich jünger und "unverbrauchter" zu sein, auch waren (bei dem von mir besuchten Konzert) hunderte Kinder auszumachen; das alles spricht für das Veranstaltungskonzept von Witt.

Der Jubel nach dem anspruchsvollen zeitgenössischen Programm war jedenfalls ernorm!
Andre Sokolowski - 16. Januar 2023
ID 14001
MDR-SINFONIEORCHESTER (Philharmonie Berlin, 15.01.2023)
Charles E. Ives: "Decoration Day" aus A New England Holiday Symphony
John Adams: The Wound-Dresser
Leonard Bernstein: Kaddish - Sinfonie Nr. 3 für Orchester, gemischten Chor, Knabenchor, Sprecher und Solosopran
Sarah Wegener, Sopran
Thomas Hampson, Bariton
MDR-Rundfunkchor
(Choreinstudierung: James Wood)
MDR-Kinderchor
(Choreinstudierung: Alexander Schmitt)
MDR-Sinfonieorchester
Dirigent: Dennis Russell Davies


Weitere Infos siehe auch: https://www.mdr.de/klassik/mdr-sinfonieorchester


https://www.andre-sokolowski.de

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