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Konzertkritik

Stadtfeld war hier

NACHTSCHRECKEN UND TAGTRÄUME mit der Badischen Philharmonie Pforzheim

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Die deutsche Orchesterlandschaft besteht nicht nur aus den Berliner Philharmonikern und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, und „Klassik“ wird nicht nur in der Elbphilharmonie und im Leipziger Gewandhaus gespielt. Der Reichtum und der internationale Ruf der deutschen Musikkultur verdankt sich den zahlreichen Orchestern in mittleren und sogar in kleinen Städten. Sie widerlegen das seit Jahrzehnten grassierende Gerücht, wonach das Publikum für klassische Musik aussterbe und es keinen Nachwuchs für deren Interpretation gebe.
Zum Beispiel Pforzheim. Die nicht sonderlich attraktive Stadt hat rund 125.000 Einwohner, aber immerhin ein vollwertiges Sinfonieorchester, die Badische Philharmonie Pforzheim, hervorgegangen aus einem unsubventionierten Orchester arbeitsloser Musiker, unter der Leitung des seit zwei Jahren angestellten Generalmusikdirektors Robin Davis, das auch für den Instrumentalpart der Opern am ansässigen Theater verantwortlich zeichnet. Das Orchester mag keine überregionalen Schlagzeilen provozieren (die gibt es nur, wenn eingewanderte Russendeutsche Rabatz machen), aber ihm ist es zu verdanken, wenn die Menschen am Ort nicht auf Musikkonserven angewiesen sind, sondern das unersetzbare Erlebnis eines lebendigen Konzerts erfahren dürfen.

Beim 1. Sinfoniekonzert der Saison mit dem etwas verquälten Titel "Nachtschrecken und Tagträume" hatte das Orchester einen prominenten Gast, den Pianisten Martin Stadtfeld. Vor zwei Jahrzehnten verblüffte er das Fachpublikum mit Bachs Goldberg-Variationen. Die Aufnahme markierte den Beginn einer raketenhaften Karriere. In Pforzheim zelebrierte er nun das 2. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow. Vom ersten Takt an ließ es Stadtfeld an Emotion nicht fehlen, pendelte er zwischen fast sentimentalem Schmelz und auftrumpfender Dramatik. An Bach erinnerte da nichts mehr.

Das Zusammenspiel von Solist und Orchester ließ nichts zu wünschen übrig. Stadtfeld und der Dirigent hörten sehr aufmerksam auf einander. Das Ergebnis war ebenso beeindruckend wie erstaunlich, umso mehr, wenn man die Probenbedingungen im gegenwärtigen Gastspielbetrieb bedenkt. Differenziert arbeiteten der Pianist und das Orchester die Themen heraus, glichen sie die Stimmen gegen einander ab. Als Zugabe überraschte Martin Stadtfeld dann mit einer intimen Fassung des Volkslieds Heidschi Bumbeidschi.

Nach der Pause konnte das Orchester, auf sich gestellt, seine Kompetenz im Sinfonischen unter Beweis stellen mit der 2. Sinfonie von Johannes Brahms. Und auch hier holte Robin Davis die unterschiedlichen Valeurs der Partitur trennscharf heraus, ohne einerseits zu übertreiben oder andererseits zu verschmieren. Und auch dies leistet eine Musikkultur, die das Publikum nicht der Barbarei eines Klassik Radios überlässt: Es darf ein Werk als Ganzes hören, wie es konzipiert war, nicht einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Sätze.

*

Am Anfang des zweistündigen Konzerts stand die deutsche Erstaufführung von Nautilus der 44jährigen schottischen Komponistin Anna Meredith, eine Fünfeinhalb-Minuten-Komposition, die deren 2016 veröffentlichte CD Varmints einleitet und in mehreren britischen Filmen und TV-Shows verwendet wurde. Allerlei Vorbilder aus dem Bereich zwischen Avantgarde, Rock und Jazz mögen einem einfallen, Fred Frith zum Beispiel oder Moondog, auch Frank Zappa oder John Zorn. Das im Tonalen verweilende Stück beginnt mit dem einfachen Motiv einer aufsteigenden Melodie, die von einzelnen Instrumentengruppen mit leichten Verschiebungen, die an Steve Reich erinnern, über einander gelagert wird. Es folgt ein Dialog zwischen einem von den Blechbläsern wiederholten Ton mit dem reich besetzten Schlagzeug, ehe sich die Streicher einmischen. Meredith nützt die diversen Klangfarben des Orchesters, ehe sie das abrupte Ende erreicht.



Das ist Martin Stadtfeld | Foto (C) Ingrid Hertfelder

Thomas Rothschild - 24. Oktober 2022
ID 13871
"Nachtschrecken und Tagräume" (CongressCentrum Pforzheim, 23.10.2022)
Anna Meredith: Nautilus (DEA)
Sergei Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll op. 18
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 in D-Dur op. 73
Martin Stadtfeld, Klavier
Badische Philharmonie Pforzheim
Dirigent: Robin Davis


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-pforzheim.de/


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