Der Zauber einer
Industrieanlage
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Abendzauber in der Regie von Krystian Lada | © Christian Palm, Ruhrtriennale 2024
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Bewertung:
Es tropft aus den Glaskästen auf die Technik und weiter in die tieferen Geschosse. Und nachdem die Zuschauenden und Zuhörenden drei Etagen der Mischanlage der Kokerei auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen durchwandert haben, eröffnet sich auf der untersten Etage ein sinnhafter Zusammenhang: Das Wasser tropft in ein großes, schmales Bassin, und unter dem Trichter, aus dem es tropft, steht nun ein nackter Mensch und genießt die Nässe. Eine einfache Referenz zugleich auch auf den Ort der Aufführung: die Mischanlage mit ihren großen Trichtern, in der schon lange keine Kohle mehr verarbeitet wird.
Abendzauber ist eine immersive Installation in der Mischanlage. Jeweils im 25-Minuten-Takt werden die Besuchergruppen eingelassen, über das Treppenhaus geht es oben aufs Dach (mit einem spektakulären Ausblick auf die Zeche Zollverein und Umgebung), im Gebäude dann auf drei Etagen wieder nach unten.
Mitten im Industrieraum auf der obersten Etage angestrahlte Glaskästen, die wie Aquarien wirken und in denen sich Pflanzen, aber auch Tiere finden, ausgestopft wie in einem Naturkundemuseum und etwas morbide. Ein Männerchor, gewandet in Bergmannsuniformen, singt Werke von Anton Bruckner, u.a. Das Ständchen und Abendzauber, das der Aufführung den Namen gibt. Geschickt verteilen sich die Sänger immer wieder neu im Raum und eröffnen so unterschiedliche Klangwelten.
Über eine Treppe im Inneren des Gebäudes geht es dann auf die nächste Etage, die weniger aus einer freien Fläche denn aus Räume besteht, die sich um die Trichter der Kokerei gruppieren. In diesen Räumen erscheinen nach und nach Figuren mit langen Haaren, deren Gesichter sich nicht erkennen lassen, weil sie von Haaren bedeckt sind. Wie Schatten bewegen sie sich an den Wänden, gelegentlich auch überraschend schnell. Von oben hört man die Klänge der Bruckner-Werke wie aus weiter Ferne und lauscht zugleich auf die Klänge, die das Gebäude selbst produziert. Vor einigen Jahren hat Suzanne Kennedy genau diese Räume für ihren installativen Opernabend Orfeo genutzt. Damals wurden kleine (Wohn-)Räume gestaltet, die die Besucher:innen nach und nach durchwanderten. Dieses Mal überwiegt der Eindruck von Leere, der aber überraschende Einblicke in das Gebäude erlaubt. So lässt die Raumaufteilung rund um die großen Trichter einzelne Räume gelegentlich wie Passepartouts in unterschiedlichen Grautönen wirken. Wohltuend zurückhaltend hier auch die Lichtinszenierung, die diesen Eindruck unterstützt.
Wie wirkt sich der Einfluss der Menschen auf die Natur aus, ist eine zentrale Frage, die Regisseur Krystian Lada und Chorwerk Ruhr bei der Gestaltung der Aufführung beschäftigt haben. Während in der obersten Etage die Romantik und die Sicht des 19. Jahrhunderts vorherrschen, dominiert auf der letzten, ebenerdigen Etage die Sicht des 20. Jahrhunderts mit Werken der isländischen Künstlerin Björk. Caroline Shaw und Marc Schmolling haben die Songs von Björk eigens für Chorwerk Ruhr arrangiert. Szenisch allerdings findet hier kein Bruch mit den beiden vorhergehenden Etagen statt, sondern es dominieren Erdfarben, Sinnlichkeit, ohne große Effekthascherei. Im oben beschriebenen Wasserbassin nackte Menschen und solche, die sich in hautfarbener Kleidung im knöcheltiefen Wasser bewegen, dem nassen Element nachspüren. Zurück zur Natur? Die Antwort bleibt offen.
Beeindruckend ist der steinerne, quasi sinnentleerte Raum der Kokerei allemal, den man bei dieser Aufführung langsam erwandert. Was fehlt, ist eine eingehendere Beschäftigung mit den Texten, die beispielsweise Bruckner vertont hat. Chorwerk Ruhr musiziert herausragend, die Chorklänge bezaubern, insgesamt aber bleibt Abendzauber auch ein wenig an der Oberfläche des komplexen Themas Natur und Kunst bzw. Industrie.
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Abendzauber in der Regie von Krystian Lada | © Christian Palm, Ruhrtriennale 2024
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Karoline Bendig - 1. September 2024 ID 14896
ABENDZAUBER (Mischanlage, Kokerei Zollverein, 25.08.2024)
mit Kompositionen von Björk, Anton Bruckner und David Longstreth
Dirigate: Alexander Lüken und Sebastian Breuing
Konzept, Regie und Design: Krystian Lada
Lichtdesign: Aleksandr Prowaliński
Choreografie: Dominika Knapik
Sound Design: Thomas Wegner
Co-Kostümbild: Nicola Gördes
Co-Lichtdesign: Sebastian Klim
Arrangements: Caroline Shaw und Marc Schmolling
Besetzung:
CHORWERK RUHR
Dominik Więcek, Ying Yun Chen und Jolinus Pape (als Caspars)
Patrycja Kowańska, Mohamed Moodimbi, Ana Isabel Vieira Carvalho, Christiane Schröder, Fiammetta Ruggiero, Kai Griebel, Leonard A. Cruz, Samantha Shay und Susanne Hille (als Survivors)
UA war am 23. August 2024.
Eine Produktion von Ruhrtriennale und Chorwerk Ruhr
Weitere Infos siehe auch: https://www.ruhrtriennale.de
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