Lesen im Urlaub >>> Charlotte Brontë, Jane Eyre
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Bewertung:
Es ist die Biografie einer ungewöhnlichen Frau, die den Leser gefangen nimmt. Die Protagonistin Jane Eyre schildert ihre traurige Kindheit als Vollwaise in einer Pflegefamilie, deren Mitglieder sie loswerden wollen. Janes starker Charakter lässt sich nicht brechen, im Internat lernt sie Menschen mit Vorbildcharakter kennen, und sie weiß diese Kontakte zu nutzen. Jane wird Lehrerin und entwickelt sich zu einem gebildeten und selbstständigen Menschen. So lernen wir sie kennen, differenziert kann sie ihre Umgebung einschätzen. Als sie eine Stellung als Gouvernante in einem Privathaushalt annimmt beginnt eine ungewöhnliche Liebesgeschichte mit ihrem Hausherrn Mr. Rochester.
"'Sie taxieren mich, Miss Eyre', sagte er. 'Halten Sie mich für gutaussehend?'
Hätte ich zuvor überlegt, hätte ich diese Frage auf die gängige Weise irgendwie ausweichend und höflich beantwortet. So aber entschlüpfte es mir einfach, ehe ich es richtig bemerkte: 'Nein, Sir.'
'Ach! So wahr ich Rochester heiße: Sie sind wirklich einmalig', sagte er. 'Sie haben einerseits etwas von einer nonnette an sich, wie sie so drollig, still, ernst und brav mit den Händen auf dem Schoß dasitzen, den Blick zumeist auf den Teppich gesenkt (es sei denn, natürlich, Sie richten ihn gerade stechend auf mein Gesicht, wie beispielsweise vorhin). Aber wenn man Ihnen andererseits eine Frage stellt oder eine Bemerkung macht, auf die sie reagieren müssen, dann knallen Sie einem eine direkte Entgegnung hin, die, wenn nicht barsch und grob, dann zumindest brüsk ist. Was bezwecken Sie damit?'" (S. 186)
Rauhe Schale, weicher Kern, dies gilt sowohl für Jane als auch für ihren Arbeitgeber, und so könnte sich die Liebesgeschichte passend zu den beiden Charakteren entwickeln. Dies geschieht zwar tatsächlich, doch stören irritierende Ereignisse auf dem alten Herrensitz die aufkommenden Gefühle. Wer ist die Irre, die nachts auf dem Anwesen umhergeistert, die Feuer legt und sogar einen Menschen beißt? Rochester steckt in einer dunklen Vergangenheit fest, und Jane verlässt ihren Angebeteten.
Die Irren und Wirren, die nun folgen, sind für den Leser aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar. Starre Regeln und Normen zwingen Jane auf einen Weg, der ihr Leben völlig verändert. Erst ein grausames Ereignis entlässt sie aus ihren selbst auferlegten Fesseln und ändert die Dinge so, dass sie einen neuen Anfang mit Rochester wagen kann. Jane Eyre ist damit weitaus mehr als ein Liebesroman.
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Charlotte Brontё schuf dieses Werk in engem Austausch mit ihren beiden Schwestern Emily und Anne. Während Anne Brontё mit Agnes Grey einen reinen Liebesroman schrieb, gelang Emily Brontё mit Sturmhöhe ein Schauerroman. Jane Eyre bewegt sich dazwischen, es ist ein Liebesroman mit schaurigen Elementen und ein metaphysischer Hilfeschrei gegen den Einfluss der Kirche auf das Leben des Einzelnen. Den dürften die Brontё-Schwestern auch am eigenen Laib erfahren haben, denn ihr Vater arbeitete als Hilfspfarrer. Karge Lebensumstände bestimmten das Leben der Töchter, die viel zu jung an Tuberkulose, der Krankheit der Armen, starben. So gibt es von den Dreien nur wenige Werke, die allerdings allesamt bis heute zu den Klassikern in der Literatur zählen.
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Ellen Norten - 19. April 2016 ID 9263
Charlotte Brontë | Jane Eyre
450 Seiten, Flexcover
Eur 9,90 (D), Eur 10,20 (A)
EPUB-Version: Eur 7,99
dtv, bibliophile Sonderausgabe 2014
ISBN 978-3—423-14355-4
Weitere Infos siehe auch: http://www.dtv.de/special/sonderedition_bronte-schwestern/buecher/2045/
Post an Dr. Ellen Norten
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