Gemetzel
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Bewertung:
Zu Weihnachten beschenkte ich meine fast 95-jährige Mutter unter anderem mit einem Netflix-Abo, The Crown (die 57-teilige TV-Serie zum britischen Königshaus in der voriges Jahr zu Ende gegangenen Ära Elisabeths II.) zählt zu ihren derzeitigen Favoriten, zwei bis drei Folgen pro Abend zieh'n wir uns - auch ich bin mittlerweile ein bekennender Royals-Fan in dem Zusammenhang - genüsslich rein. Doch selbstverständlich gab und gibt es bei dem Stream-Anbieter jede Menge anderes und (zugegeben:) filmisch Besseres zu sehen; man muss freilich gründlich suchen, um zu schauen, was für einen passen würde und was nicht, das Angebot scheint unüberschaubar.
Seit über einem Jahr ist die 2023 vierfach Oscar-preisgekrönte Netflix-Produktion Im Westen nichts Neues - übrigens die erste deutsche Verfilmung des gleichnamigen Antikriegsbestsellers von Erich Maria Remarque - auf der Streaming-Plattform abrufbar. Meine kriegserfahrene Mutter (Jahrgang 1929) hatte null Lust, sich dieses "Kriegszeug" anzusehen. Auch mein langjähriger Musikerfreund, der um die Feiertage bei uns zu Besuch war, winkte bereits nach den ersten fünf gesehenen Minuten dieses Zweistünders dankend ab (Zitat von ihm: "Ich will mir diese brutale Scheiße nicht weiter ansehen."). Zu sehen gab's da nämlich, quasi als eine Art von Introduktion, und noch weit vor dem eigentlichen Handlungsbeginn, ein fürchterliches Schlachtengetümmel mit zig niedergemetzelten Statisten in heruntergekommenen Uniformen oder Uniformfetzen; Schüsse fielen, Gesichter explodierten, Gliedmaßen flogen durch die Luft etc. pp. Nein, wahrlich nichts für zarte Gemüter. Okay, das war's wohl erst einmal mit unserem gemeinschaftlichen Netflix-Heimkino. Weil ich den Film aber trotz allem doch noch sehen wollte - die Besetzungsliste wies immerhin solche Schauspieler-Koryphäen wie Albrecht Schuch, Andreas Döhler, Devid Striesow, Daniel Brühl oder (als Hauptstar vom Burgtheater Wien) Felix Kammerer aus - holte ich das schließlich im Flugzeug auf meinem Smartphone nach; J. und ich verlebten über Neujahr ein paar Tage auf den Kanaren, und da wirkte so ein nachservierter Schocker irgendwie ernüchternd-abkühlend nach so viel schöner warmer Sonne...
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Was den künstlerischen Wert des neuerlichen Antikriegsfilms angeht, muss ich sagen, dass ich diesen (über seinen ungleich menschenmaterialaufwändigeren) mitnichten zu erkennen bereit bin. Zum Vergleich: Apocalypse Now von Francis Ford Coppola hatte einen klar strukturierten und geradlinigen Handlungsfluss: Martin Sheen (als Captain Willard) war im geheimen Auftrag des Pentagon auf der Jagd nach Marlon Brando (als Colonel Walter E. Kurtz); dem Zweitgenannten eilte der zweifelhafte Ruf voraus, einen autokratischen Dschungelstaat errichtet zu haben, er stand in dem von ihm besetzten Niemandsland einer Art rituellen Sekte vor, bei der nach seinen eigenen Gesetzen gelebt und getötet würde; die US-amerikanischen Militärs waren nicht gewillt sich das weiter aus der Ferne zumuten zu lassen; die Fangsuche verlief quer durch den in der Endphase tobenden Vietnamkrieg, und Sheens Mission, also die Neutralisierung Brandos, wurde definitiv erledigt.
Regisseur Edward Berger und seine beiden Drehbuch-Mitschreiber (Lesley Paterson, Ian Stokell) tricksten bei ihrer Romanverfilmung dahingehend, dass sie einen zweiten, einen pseudodokumentarischen Doppel-Handlungsstrang hinzufügten, der - in Korrespondenz zu dem fast pausenlosen Herumgemetzel in und außerhalb der Schützengräben - zum einen die 1918er Waffenstillstandsverhandlungen von Compiègne, welche in einem Eisenbahn-Salonwagen stattfanden, szenisch nachstellte und zum anderen das Oppositionelle der obersten Soldateska (in Gestalt des filmisch erfundenen Generals Friedrich), die das Ende des Ersten Weltkrieg partout nicht wahrhaben wollten und immer wieder, trotz absoluter Aussichtslosigkeit, eine weitere Kriegsfortführung befehligte, hervorhob. Leidtragende dieses innermilitärischen Konflikts waren die zig tausenden Soldaten, die als verwesende und zerstückelte Leichen auf den Schlachtfeldern dieses bisher größten aller Abnutzungskriege endeten.
Dass ich (und womöglich alle anderen, die diesen neuesten Kriegsfilm sahen oder sähen) geradezu reflexhaft an die von den Russen überfallene Ukraine dachten und denken würden, liegt ganz unvermeidlich auf der Hand.
Die vier amerikanischen Oscars wurden in den Kategorien "bester internationaler Film", "beste Kamera" (James Friend), "beste Filmmusik" (Volker Bertelmann) und "bestes Szenenbild" (Christian M. Goldbeck, Ernestine Hipper) verteilt.
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Im Westen nichts Neues (2022) | (C) Netflix / Reiner Bajo
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Andre Sokolowski - 9. Januar 2023 ID 14554
Weitere Infos siehe auch: https://www.netflix.com/de/title/81260280
https://www.andre-sokolowski.de
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