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UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 44)

„Wir wollen

die Realität

und die

Zustände

verändern.“



Bewertung:    



Als sich die beiden Unternehmenspioniere Daniel Überall und Simon Scholl im Jahr 2011 das erste Mal begegneten, planten sie gleich ein gemeinsames Projekt. Sie suchten sich den Anbau von Lebensmitteln aus, der nach Maßgaben einer Genossenschaft erfolgen sollte. Dabei geht es um eine freiwillige, demokratische Gemeinschaft Gleichgesinnter, die sich finanziell an dem Projekt beteiligt und dadurch ein Recht auf Anteile der Ernte erwirbt, wie es die beiden bei den solidarischen Landwirtschaften „Solawis“ vorgefunden hatten. Der Anbau erfolgt biologisch und schließt eine mögliche Mitarbeit der Mitglieder auf den Feldern und in den Gewächshäusern mit ein. So kann sich jeder auf die gewünschte Art einbringen und an einer generationenübergreifenden Unternehmung teilhaben, die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit zum Ziel hat - und den regelmäßigen Bezug von Gemüse aus der Region für die Teilnehmenden sichert. Der Filmemacher Moritz Springer hat neun Jahre lang die Aktivitäten des in München ansässigen „Kartoffelkombinats“ verfolgt und die abendfüllende Dokumentation Das Kombinat produziert. (Es wird sehr schnell klar, dass es um sehr viel mehr als nur Kartoffeln geht und der Begriff Kombinat zwar aus DDR-Zeiten geläufig ist, hier aber seine ganz eigene Form annimmt).

Für das Kartoffel-Kombinat wurden anfänglich Anbauflächen in einer Gärtnerei gepachtet. Während die Gärtnerei weiterhin für Supermärkte anbaute, pflanzten Überall und Scholl auf ihrem Teil für ihre Mitglieder an, für Menschen, die sie teilweise kannten und die ihre Arbeit und die Produkte wertschätzten. Es war eine absichtliche Abkehr von kapitalistischer Orientierung, die zur Ausbeutung von Menschen und des Planeten führt, selbst die Erzielung von möglichst hohen Gewinnen ist nicht einmal erwünscht, weil das dem Sinn einer Genossenschaft widerspräche. Das Wohl von Menschen und Umwelt steht im Vordergrund.

Dann konnten sie die Gärtnerei doch nicht übernehmen und mussten andernorts einen neuen Betrieb aufbauen. Das brachte alle an ihre Grenzen. Zwölf-Stunden-Tage, Sechstagewoche waren die Regel, und ein Ende war noch nicht in Sicht. Die Instandsetzung der neuen Fläche zehrte schon viele Kräfte auf, bevor mit der Landwirtschaft begonnen werden konnte. Moritz Springer erläutert:


"Wie bei vielen idealistischen Projekten läuft es in den ersten Jahren nur durch einen hohen persönlichen Einsatz. Man könnte auch sagen: Selbstausbeutung. Dabei sind gute Arbeitsbedingungen von Anfang an ein Hauptanliegen. Aber wie stellt man die sicher in einer Branche, die auf niedrigste Löhne und Saisonarbeiter setzt und viele Kosten externalisiert? Beim Kartoffelkombinat fordert der Aufbau der eigenen Gärtnerei zusätzliche Kapazitäten. Große Herausforderungen und viele Entscheidungen, die dort getroffen werden müssen. In normalen Betrieben ist es da dann der Chef, der die Ansagen macht. Das Kartoffelkombinat möchte aber gerade auf klassisch hierarchische Strukturen verzichten. Bei inzwischen 45 Menschen, braucht es aber zunehmend Strukturen, die sicherstellen, dass der Betrieb läuft."


Das führte zu Diskussionen: Die einen wollten sich einbringen und entfalten, wie das auch vorgesehen ist, anderen war es aber lieber einen Chef die Entscheidungen fällen zu lassen. Eigenverantwortung kann anstrengend sein, und man ist vor einem möglichen Scheitern nicht sicher. Und danach sah es zwischenzeitlich auch aus. Überall wollte die Flucht nach vorne antreten und erweitern, hielt unerschütterlich an seiner Vision fest, obwohl er sich in einem Erschöpfungszustand und einer ernsten Ehekrise befand. Scholl wollte den Betrieb lieber auf einer handhabbaren Größe belassen, weil er meinte, dass ein transformatives Unternehmen nur eine gewisse Größe haben könne. Sie entschlossen sich zur Trennung: Überall führt den Betrieb mit einer Kollegin Jana Hohberger im Vorstand weiter, Scholl bereist das Land und macht das, was ihm besonders liegt, Netzwerken.

Inzwischen gibt es über 500 Solawis in Deutschland. Scholl meint:


"Die Idee der solidarischen Landwirtschaft hilft uns, auf ein gesundes menschliches Maß zurückzukommen, in vielen Bereichen."


Bei einem Besuch in einer anderen Solawi erfährt er, dass man auch dort über die Produktion von Lebensmitteln hinaus denkt. Ein Mann erklärt, dass diese eine Art Kindergarten seien, in dem Erfahrungen gemacht werden könnten, die man dann in andere Bereiche übertragen könne. Jede Solawi ist anders, und die Stärke liegt gerade in dieser Vielfalt. Sofern es überhaupt eine Art Blaupause oder Schablone gibt, mit der man diese Strukturen auf andere übertragen kann, müssten diese demnach sehr weitgefasst sein. Aber es werden Ideen entwickelt und ausprobiert, von der Top-down-Struktur, bei der ein Vorstand bestimmt, bis hin zu Kreisstrukturen für Kommunikation, Betrieb, Verwaltung etc., innerhalb derer gemeinschaftlich Entscheidungen getroffen werden. Gemeinsam ist allen, dass sie eine Landwirtschaft wollen, die nicht auf Ausbeutung beruht, und das auf andere Bereiche ausweiten:


"Wir wollen die Realität und die Zustände verändern."


Auf diese anderen Bereiche wird in der Dokumentation nicht weiter eingegangen, aber es gibt sie in großer Vielfalt, wie Gemeinschaftsgärten unterschiedlichster Art, essbare Städte, Ernährungsräte, die alle die Agrarwende zu nachhaltigem Ackerbau anstreben, die Ernährungssouveränität und Ernährungssicherheit. Ähnliche Bestrebungen gibt es in Sachen Energiewende, Verkehrswende, Bauwende, Ressourcenwende und etliche mehr. Für solche Initiativen ist der Film besonders interessant, weil sie vieles wiedererkennen dürften, was sich da an Konflikten und Einigungen, Höhen und Tiefen sowie Gelingen und Misserfolgen abspielt. Überall und Scholl haben jeder für sich ihre Visionen aufrecht erhalten und letztendlich dann doch Erfolg damit gehabt. Der Film beschreibt diesen Wachstumsprozess hervorragend und zeigt Menschen, die sich im Umbruch und im Aufbruch befinden und ihren Teil dazu beitragen, die Geschicke der Menschheit und des Planeten zu einem Besseren zu wenden.



Simon Scholl führt eine Besuchergruppe durch das Areal | © Real Fiction Filmverleih

Helga Fitzner - 27. September 2023
ID 14403
Weitere Infos siehe auch: https://www.realfictionfilme.de/das-kombinat.html


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