Erfroren
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Auf dünnem Eis: Köchin Ira (Julia Koschitz) hat Konrad (Carlo Ljubek) Essen aus ihrem Restaurant mitgebracht | Foto: ZDF/Stephanie Kulbach
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Bewertung:
Filme, die das Prekariat schildern oder tief unten im (Sozial-) Milieu verortet sind wie neuerdings Auf dünnem Eis (Regie: Sabine Bernardi, Buch: Silke Zertz) haben Seltenheitswert, oder sie werden, falls es sie ganz selbstverständlich gibt, kaum oder zu den unmöglichsten Fernsehzeiten - s. auch "Das kleine Fernsehspiel" - gesendet; und wobei das heutzutage eigentlich egal ist, weil ja alles, was auf Sendung ging und geht und gehen würde, zusätzlich in Mediatheken oder Onlineangeboten, also via Internet, zeitunabhängig abrufbar und also seh- und hörbar wäre.
Produzentin Beatrice Kramm hatte 2012 ein sie erschütterndes Erlebnis: "Es war ein besonders kalter Winter in Berlin. Ein Obdachloser suchte sich auf unserem Stellplatz einen geschützten Ort und lebte dort für einige Wochen. Wir haben vergeblich versucht, mit ihm in Kontakt zu treten und ihm Hilfe angeboten – er wollte in Ruhe gelassen werden. Bei einer Temperatur um die -15° C und Frost verstarb der Mann – bis heute wissen wir nichts von ihm. Mit diesem Film möchte ich ihm eine Geschichte geben."
Carlo Ljubek spielt die Rolle dieses Mannes, der im Film als obdachloser Alkoholiker mit Namen Markus Konrad (s)eine, wenn auch vollkommen fiktive, zirka sechwöchige Lebenskurzgeschichte zugewidmet kriegte - und das macht er auf erschütternd glaubwürdige Art und Weise! Man ist hin und her gerissen, wenn man ihn sowie die ihn als das von ihr verschuldete und "notdürftig versorgte" Unfallopfer aufgegriffen habende Julia Koschitz (= Ira Rosenthal) so nach und nach verschicksalt an- und miteinander sieht...
"Im Spannungsfeld zwischen Mitgefühl und Abwehr beginnt Ira sich mit der Frage nach ihrem Platz im Leben auseinanderzusetzen. Erst kürzlich ist ihre Ehe zerbrochen und sie lebt nun mit ihrem 9-jährigen Sohn Lukas allein. Ihr Job als Köchin bringt sie nicht nur wegen der extremen Arbeitszeiten an ihre Grenzen. Konrad dringt immer weiter in Iras Alltag ein. Um ihn loszuwerden, versucht sie, ihm seinen Platz im Leben zurückzugeben. Sie lässt ihn bei sich übernachten, leiht ihm Klamotten und begleitet ihn bei Behördengängen.
Iras Ex–Mann Bernhard sucht wieder reumütig den familiären Anschluss, fühlt sich aber von Konrad gestört und bedroht. Als Ira ihren Job verliert, wird ihr bewusst, wie fragil die eigene bürgerliche Existenz ist, und ihr entgleitet zunehmend ihr Leben."
(Quelle: ZDF)
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Vieles, was dieser in Berlin (und wenn es Winter ist, ist diese Stadt besonders abweisend in ihrer so brutalen Anonymität und also menschgewollten Kälte) abgedrehte Film aufzeigt, verstört, beschämt. Der Zusehende, und v.a. der, der hier in dieser Stadt, in der er nicht geboren wurde, seit Jahrzehnten lebt, wird auf Bekanntes also auf tagtägliche Begegnungen mit solchen Ausgestoßenen und Außenseitern irgendwie zurückgeworfen; und womöglich ist dem einen oder anderen Ähnliches widerfahren, falls seine Bereitschaft einer dieser Kreaturen aufzuhelfen irgendwelche echte Konsequenzen für ihn hätte haben können oder wie auch immer...
Ich erinnerte mich plötzlich an einen identisch anmutenden Fall, wo ich in einer solchen Lage war und "half" und letztlich meine Ohnmacht überwand; ja und nachdem ich ihn gebadet und gespeist sowie mit abgetrag'nen Sachen von mir eingekleidet hatte und ich schlussendlich doch nicht mehr wusste, wie das alles weiter gehen oder funktionieren sollte, steckte ich ihm hundert Euro zu und hieß ihn meine Wohnung wieder zu verlassen; und dann sah ich ihn am Tag darauf vor einem Einkaufszentrum kauern, und er schien total besoffen und tat wirrste Sprechblasen aus sich erzeugen, und ich ließ ihn kauern und ging weiter...
Grenzwertig, ich weiß.
Aber so war und ist halt Wahrheit - auch nach diesem Film.
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Auf dünnem Eis: Dennis Konrad (Paul Michael Stiehler, re.) spricht mit seinem Vater Konrad (Carlo Ljubek, li.) | Foto: ZDF/Stephanie Kulbach
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Andre Sokolowski - 21. September 2021 ID 13154
Auf dünnem Eis (D 2021)
Regie: Sabine Bernardi
Buch: Silke Zertz
Kamera: Bernhard Keller
Schnitt: Renata Ivancan
Musik: Matthias Klein und Daniel Sus
Bestzung:
Ira Rosenthal ... Julia Koschitz
Markus Konrad ... Carlo Ljubek
Lukas ... Bruno Grüner
Bernhard ... Markus Gertken
Karen ... Gudrun Gabriel
Lutz ... Hans Klima
Dennis Konrad ... Paul Michael Stiehler
Rainer Simmering ... Kristian Nekrasov
Luise Schaffhaus ... Antonia Holfelder
Ralph Uhlig ... Ivo Kortlang
Erstausstrahlung am 20. September, 20:15, im ZDF
Weitere Infos siehe auch: https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/auf-duennem-eis-108.html
http://www.andre-sokolowski.de
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