Papiertaschentuch
der Nation
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(C) rbb/Frédéric Batier
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Bewertung:
„Eine Bushaltestelle tief in Brandenburg. Zwei Männer warten auf‘n Bus und reden über ihr Leben. Offen, ehrlich. Die Themen sind vielfältig, die Dialoge direkt aus der brandenburgischen Seele.“ So der Sender rbb über seine neue TV-Kurzserie Warten auf‘n Bus in der Regie von Dirk Kummer, der als Schauspieler in der Rolle des Matthias im DDR-Kultflim Coming out bekannnt wurde. Besagtes Bushäuschen am Rande eines Dorfes ist hier die letzte Bastion im Nirgendwo, oder wie es Hannes (Ronald Zehrfeld) und Ralle (Felix Kramer) bezeichnen, das „Tor zur Welt, die verdammte Schnittstelle zwischen Pampa und intelljentet Leben“. In den Worten des aus Cottbus stammenden Dramatikers Oliver Bukowski ist das Programm zu 100 Prozent Ost. Bukowski ist bekannt für seine derben Mundartschwänke, wie etwa das preisgekrönte Stück Londn-L.Ä.-Lübbenau. Und so randberlinern sich die beiden Endhaltestellenbewohner auch durch die acht halbstündigen Folgen.
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Hannes, einst Arbeiter in der LPG, ist ein verhinderter Lebensphilosoph, der in jeder Situation („Ei der Daus!“) immer noch einen passendes Spruch oder ein literarisches Zitat parat hat, Ralf, genannt Ralle, ein mit einigen verschütteten Traumata ausgerüsteter ehemaliger Ingenieur im Tagebau, jetzt Hobbytrinker und Hundebesitzer. Beide verbindet eine Freundschaft seit Kindertagen, weiterhin die Tatsache, mittlerweile als „unvermittelbar“ zu gelten, und neuerdings auch eine heimliche Liebe zur taffen Busfahrerin Kathrin (Jördis Triebel), die beide für „Hammer“ aber unerreichbar halten.
Wendehammer sozusagen, wie ein anderer Name für Endhaltestelle lautet. Ein sprechender natürlich, sind doch unsere Protagonisten durchaus auch sogenannte Wendeverlierer oder besser „Loser mit Antriebsstörung“, die sich zwar durchaus für „teamfähig und kreativ-individuell aktiv“ halten, aber doch irgendwie ohne Plan für die Zukunft sind. Was sie täglich zu ihren einsamen Biergesprächen an die Haltestelle treibt, wird erst im Laufe der acht Folgen klarer. Von diesem Bushäuschen sind sie vor der Wende jeden Morgen gestartet („unser persönliches Baikonur“). Nun sitzen sie hier mit Ralles Hund Maik aus dem Tierheim, nur ganz entfernt verwandt mit der sowjetischen Weltraumhündin Laika.
Hannes und Ralle betreiben eine ganz spezielle Art von Vergangenheitsbewältigung als Vergegenwärtigung einer ständigen Selbsttherapie, deren Meister Hannes mit seinem Notfallkoffer ist. Selbstermächtigung, Identitätspolitik, Appropriation und Gender-Sternchen sind Schlagworte der heutigen Zeit, die sie dank Smartphone aus dem Internet kennen. Zumindest da ist man auf Empfang und in der Post-Post-Moderne angekommen. Bukowski filtert den aktuellen politischen Zeitgeist durch die ganz persönliche ostdeutsche Brille seiner „Kloppis an der Haltestelle“. In gewisser Weise ähneln da die beiden Verweigerer des realkapitalistischen Alltags auch dem westdeutschen Imbissphilosophen Olli „Ditsche“ Dittrich, nur dass die im Brandenburgischen „Philosofn“ Genannten nicht im Bademantel, sondern öfter in Arbeiter-Wattejacke und Anorak auftreten.
Besuch bekommen die beiden auch hin und wieder. Zum Beispiel von der einst linientreuen Mutter Ralles (Ilse Werner), die nun zu einer anderen Religion übergelaufen ist und alte Wunden aufreißt. Natürlich werden dabei allerhand gut bekannte Ost-Klischees bemüht, wie das der dumpfen Neonazis, denen Hannes und Ralle just dann begegnen, als sie von einem Ausflug in die Brandenburger Natur zum Bienenauswildern (Ökologie kommt im weit gefassten Themenkreis nicht nur in Form der sprichwörtlichen „blühenden Landschaften" vor) zurückkehren. Zuerst von einer in Burka vermummten Linksradikalen (Katharina Marie Schubert als „glühendrote Ines“) als Köder benutzt, dienen später dann die beiden Wartehäuschenverteidiger den Glatzen als recht wehrlose Punshingbälle und werden erst im dramatischen Showdown durch eine brandenburgische Jeannne d’Darc gerettet.
Aber der ausgegrenzte, ewig abgehängte Ostler ist vielleicht das größte Klischee, dem sich Hannes und Ralle stetig erwehren müssen. Selbst im Präsent-20-Anzug als „Zeitzeugen“ für das Schulprojekt der Berliner Nichte geben die beiden sitzengebliebenen Mitvierziger einen etwas zerknautschten Anblick ab. Die „Helden der friedlichen Revolution“ haben nach persönlicher Beichte den Fall der Mauer und den anschließenden Kampf um Haus und Heimat mit dem Bier in der Hand vor dem Fernseher verpennt. Soviel selbstironische Gerechtigkeit lässt Autor Bukowski seinen heldischen Underdogs dann schon widerfahren. Zu jammernd selbstgerecht soll es ja auch nicht werden.
Doch soll hier nicht zu viel gespoilert werden. Als sich munter und ermunternd ergänzendes Wartehäuschengespann funktionieren der im TV- und Kinofilm recht präsente Zehrfeld (Im Angesicht des Verbrechens, Dengler, Barbara) und der bisher eher weniger bekannte Kramer (Dogs of Berlin, mit Zehrfeld auch in Zwischenwelten) dann überwiegend ganz gut. Als wesentlich beweglicheres weibliches Äquivalent brilliert Jördis Triebel als Busfahrerin Kathrin, die den beiden Schluffis fernab jeder toxischen Männlichkeit immer mal wieder verständnisvoll in den Hintern tritt. Mit einem lachenden und weinenden Auge ist Warten auf’n Bus bestimmt keine platte Comedy, sondern ein gutes und unterhaltendes Stück Denkanstoß auch für die Zeiten nach Corona.
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Warten auf´n Bus | (C) rbb/Frédéric Batier
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Stefan Bock - 26. April 2020 ID 12192
Warten auf’n Bus (D, 2020)
Regie: Dirk Kummer
Drehbuch: Oliver Bukowski
Produktion: Ulf Israel und Reik Möller
Musik: Johannes Repka
Kamera: Falko Lachmund
Mit: Ronald Zehrfeld, Felix Kramer, Jördis Triebel u. a.
Erstausstrahlung am 15. April 2020, ARD Mediathek
(Seit 22.04.2020 immer mittwochs 22 Uhr im rbb-Fernsehen)
Weitere Infos siehe auch: https://www.ardmediathek.de/
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